Und Piccadilly Circus liegt nicht in Kumla
Als Signhilds Vater brutal...
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Als Signhilds Vater brutal ermordet wird, kommt dies einem Erdbeben gleich.
Und PiccadillyCircus liegt nicht in Kumla von Håkan Nesser
LESEPROBE
Viel später
Die Zeit istein Dieb.
Sie stiehltunser Leben. Frisst unsere Tage, wie man behaupten
könnte, undverschlingt unsere Nächte. Stunde für
Stunde,Minute für Minute.
Menschen,Augenblicke, Geheimnisse.
Ganz hintenin meiner unordentlichen Schreibtischschublade,
dermittleren, die ich nie leere, sondern immer nur fülle,
da bewahreich seit vielen Jahren einen Daumen auf.
Er liegt inseiner geheimnisvollen Einsamkeit zwischen
Bleistiftstummeln,alten Quittungen, verbrauchten Olivettifarbbändern,
Gummibändern,Büroklammern und Papierschnipseln,
und ergehörte einmal einem deutschen Soldaten.
Vielleichtwerde ich davon berichten. Ja, wenn es so
läuft, wiemir schwant, dass es laufen muss, werde ich es natürlich
tun. Ob ichnun
Ich holeihn heute Abend hervor, den Daumen, es ist jetzt
schon langeher, und ich sitze mit ihm auf dem Balkon und
blicke überden Sund. In drei Stunden geht der Zug, ich habe
noch Zeit,eine Weile den Sonnenuntergang zu betrachten.
Vielleichtist es trotz allem möglich, das wieder zurückzuerobern,
was unsgenommen wurde, vielleicht ergibt sich für
mich dieGelegenheit, den Dieb zu bestehlen.
Warumnicht? Ihm nützt die Beute doch nichts, wir selbst
sinddiejenigen, die die Verantwortung übernehmen müssen.
DasVergangene und das, was uns geraubt wurde, hervorholen
müssen. Ichselbst, genauer gesagt, warum sich hinter einem
wir verstecken?
Aberfünfunddreissig Jahre sind eine ganz schön lange Zeit,
da kannviel auf der Strecke bleiben. Doch eine nächtliche
Zugreiseist natürlich genau das richtige Tor zu den Erinnerungen.
Seit dasRattern der Schienenstösse aufgehört hat,
kann ichgar nicht mehr schlafen. Und die Schlaflosigkeit an
sich kannschon die Diktatur des Heute und des gerade Existierenden
vom Sockelstossen, das ist keine neue Erkenntnis.
Ich schaueüber den Sund und die Brücke. Erinnere mich
und denkenach. Zunächst rief er an, dann sie. Nur eine
Stundespäter. Er hatte es bereits angekündigt, aber es war
merkwürdig,ihre Stimme zu hören.
Hab nichtmehr viel Zeit, sagte er. Ich würde es zu schätzen
wissen,wenn du vorbeischauen könntest. Da ist noch
was.
Du kommstdoch?, fragte sie ihrerseits. Es ist wichtig.
Nach alldiesen Jahren ist es plötzlich ganz eilig und wichtig.
Warumeigentlich?
Ich komme,sage ich. Natürlich komme ich, aber was will
er von uns?
Sie sagt,das wisse sie nicht. Ich meine, herauszuhören,
dass sielügt. Meine, noch etwas anderes herauszuhören, das
ich nichtrichtig fassen kann.
Wo wohnstdu? Von wo aus rufst du an?
Aus Luleå.
Das sindmehr als tausend Kilometer, und wir wollen uns
in derMitte treffen. In der Universitätsstadt, ich habe dort
selbsteinige Jahre in den Siebzigern gelebt. Kann mich noch
an einigeserinnern. An ein Schloss. Einen Bach. Eine Frau,
die B.hiess.
Dann bismorgen früh!, sagt sie. Klingt plötzlich fast
ängstlich.
Um 7.50Uhr, sage ich. Dann kommt mein Zug an.
Ich bin daund hole dich ab, sagt sie.
Ich schlafenicht.
Auf derunteren Pritsche liegt ein riesiger Kerl und sägt
Baumstämme.Er schläft für uns beide.
Ich habeein Buch dabei, aber ich lese nicht. Habe genug
Gedankenfür eine halbe Menschheit.
00.42Hässleholm.
01.34Alvesta.
Die Zeitist ein Dieb, und ich habe Witterung aufgenommen.
Dienächtlichen Minuten ticken rückwärts, Tag für
Tag, Jahrfür Jahr. Bald sind wir da. Bald haben wir die Linsen
auf dierichtige Entfernung eingestellt.
Aber waswill er von uns?
Von mir undvon ihr?
Liegt erwirklich im Sterben?
Und wenn esschon vorbei ist, wenn wir ankommen? Dieser
neuen Fraumöchte ich wirklich nicht begegnen. Unter
keinenUmständen und schon gar nicht unter diesen hier.
Quatsch.Unnötige Befürchtungen. Er hat versprochen,
sie darauszuhalten, und natürlich lebt er noch einen Tag länger,
aus reinerWillenskraft, das macht doch jeder.
Ichverspüre ein gewisses Unbehagen, wie vor einem bevorstehenden
Fiasko.Eine Kapitulation. Begreife eigentlich
nicht sorecht, warum. Ich versuche, nicht zu spekulieren,
aber es istsinnlos. Meine Gedanken sperren sich hartnäckig,
was solltensie in einer schlaflosen Nacht wie dieser sonst
auch tun?
02.25Nässjö.
Ich sollteversuchen, zumindest eine Stunde zu schlafen.
Da ist nochwas. Was? Ahne ich etwas oder nicht? Was sind
das fürverschämte, leichenblasse Larven, die in mein Unter-
bewusstseinkriechen? Lass mich nur eine Minute schlafen
und sie zuTräumen formen.
Aber nein.
03.48Linköping.
04.18Norrköping.
Es beginntschon zu dämmern. Bald ist der Morgen da.
Keinen Momentdes Schlummers, ich werde älter aussehen
als nötig.Sie wird finden, dass ich alt bin.
Aber wassolls, ich bin ja auch alt. Bin es mit den Jahren
geworden.
Meinzufälliger Bettgenosse lässt einen Wind fahren und
seufztzufrieden im Schlaf.
Sie, denke ich.Ausgerechnet sie, von allen Menschen.
Wir nähernuns jetzt Södertälje. Ich klettere hinunter und
geheduschen, es ist eng und unbequem. In Kürze umsteigen
inStockholm. Dann eine Stunde bis zur Universitätsstadt.
Odervierzig Minuten, heutzutage geht es schnell.
Ich stellefest, dass ich zittere. Auf jeden Fall wird es im
Hauptbahnhoffür eine Tasse Kaffee reichen, das beruhigt
mich einwenig. Und für eine Zimtwecke, von der ich drei
Viertelliegen lasse.
Der nächsteZug ist überfüllt mit Pendlern. Ich sitze neben
einerdunkelhäutigen Frau, die nach allem zu urteilen Medizin
studiert.Jung und üppig. Ich fühle mich alt und grau.
Arlanda.
Knivsta.
Uppsala.
DieMorgensonne sickert durch das schmutzige Fenster.
Und dannsteht sie da.
©Verlagsgruppe Random House
Übersetzung:Christel Hildebrandt
- Autor: Håkan Nesser
- 2005, 4. Aufl., 336 Seiten, Masse: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Christel Hildebrandt
- Verlag: BTB
- ISBN-10: 344273407X
- ISBN-13: 9783442734078
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