Abendland
Roman. Ausgezeichnet mit dem Bodensee-Literaturpreis 2008
"Abendland ist ein Roman, wie er selten geschrieben wird, tollkühn, inspirierend und fesselnd."
Die Zeit
Carl Jacob Candoris - Mathematiker, Weltbürger, Dandy und Jazz-Fan ist fünfundneunzig, als er seine Lebensbeichte...
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Produktinformationen zu „Abendland “
"Abendland ist ein Roman, wie er selten geschrieben wird, tollkühn, inspirierend und fesselnd."
Die Zeit
Carl Jacob Candoris - Mathematiker, Weltbürger, Dandy und Jazz-Fan ist fünfundneunzig, als er seine Lebensbeichte ablegt. Aufschreiben soll sie der Schriftsteller Sebastian Lukasser, Sohn des Gitarristen Georg Lukasser, den Candoris im Wien der Nachkriegsjahre kennengelernt hat. Candoris erzählt von seinem Großvater, der einen berühmten Kolonialwarenladen betrieb, von seinen seltsamen Verwandten, bei denen er in Göttingen während seines Studiums lebte, vom Wien der Nachkriegszeit wo Sebastians Geschichte beginnt: die Geschichte einer Selbstfindung, die sich über die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts erstreckt. Im Spiegel zweier ungleicher Familien entsteht so ein kluger, reicher, witziger und lebenssatter Generationenroman über unsere Zeit.
Klappentext zu „Abendland “
» 'Abendland' ist ein Roman, wie er selten geschrieben wird, tollkühn, inspirierend und fesselnd.« Verena Auffermann in 'Die Zeit' Carl Jacob Candoris - Mathematiker, Weltbürger, Dandy und Jazz-Fan - ist fünfundneunzig, als er seine Lebensbeichte ablegt. Aufschreiben soll sie der Schriftsteller Sebastian Lukasser, Sohn des Gitarristen Georg Lukasser, den Candoris im Wien der Nachkriegsjahre kennengelernt hat. Candoris erzählt von seinem Grossvater, der einen berühmten Kolonialwarenladen betrieb, von seinen seltsamen Verwandten, bei denen er in Göttingen während seines Studiums lebte, vom Wien der Nachkriegszeit - wo Sebastians Geschichte beginnt, die Geschichte einer Selbstfindung, die sich über die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts erstreckt. Im Spiegel zweier ungleicher Familien entsteht so ein kluger, reicher, witziger und lebenssatter Generationenroman über unsere Zeit.
Lese-Probe zu „Abendland “
Abendland von Michael Köhlmeier LESEPROBE
Carl war mein Pate, das heißt, er war mein Taufpate nach katholischem Ritus, aber er war viel mehr: Er war mein Schutzengel. Dabei kann ich nicht einmal für mich in Anspruch nehmen, im Kernschatten seiner Flügel gestanden zu haben; denn dieser Platz war ausschließlich für meinen Vater reserviert gewesen. Meine Mutter und ich, die wir uns an meinen Vater klammerten, damit er nicht umstürzte, hatten lediglich die Ränder des Schattens bezogen. Ob der Schutzengel das beabsichtigte? Oder hat er es bloß in Kauf genommen? Die Lukassers - Agnes, Georg, Sebastian - riefen nach ihm, und er verließ sein Institut in Innsbruck, um sich ihr Gejammer und Geschrei, ihr Herumgedruckse, ihre Empörungen, Ressentiments, Proteste, ihre Neid- und Mißgunstanfälle, ihre Aggressionen und
Geldsorgen, ihren Weltschmerz und ihre Frustrationen anzuhören.
Für uns war das Leben eine andauernde Aufeinanderfolge von Problemen; er bot die Lösungen an. Durften wir darauf vertrauen, dass er sich nicht von uns abwandte? Es sei das Geheimnis des
Charismatikers, sagt der englische Schriftsteller Gilbert Keith Chesterton sinngemäß, daß große Gunst zu gewähren und große Gunst vorzuenthalten aus seinen Händen zu ein und derselben Geste
werden. Das Vertrauen, das uns Carl entgegenbrachte, hätten wir uns selbst niemals entgegengebracht; es war entweder übermenschlich oder unglaubwürdig. Im ersten Fall hätten wir nur enttäuschen können; im zweiten wäre sein Umgang mit uns nichts weiter als ein Spiel gewesen, bei dem wir, weil wir Figur oder Würfel oder beides waren, logischerweise nicht nachvollziehen hätten können, was daran lustig sein sollte.
Am Anfang unserer Familie war Carl; ihr Keim war gepflanzt in seiner ersten Begegnung mit
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meinem Vater. Als er meinen Vater zum erstenmal gesehen habe, erzählte Carl, sei nach wenigen Minuten in
ihm beschlossen gewesen, dass er sich mit ihm anfreunden wollte, dass er ihm - er betonte - »demütig« folgen und alle Schwierigkeiten beiseite räumen wollte, die sich mit Sicherheit über dem Weg dieses Mannes türmen würden.
Carl und mein Vater waren so verschieden, wie zwei Menschen nur verschieden sein können. Sie lernten einander in Wien nach dem Krieg kennen; mein Vater war vierundzwanzig, Carl bereits vierzig.
Wer schon einmal ein Bild des amerikanischen Folksängers Woody Guthrie gesehen hat, dem brauche ich meinen Vater nicht zu beschreiben - klein, sehnig, zäh, widerborstige dunkle Locken, das
Gesicht hager und blaß, im unteren Teil grau von den unbändig nachdrängenden Bartstoppeln, ernste alte Augen, ernster Mund, sogar wenn er bis über die Stockzähne lachte, was ansteckend war, aber
immer auch etwas Konspiratives, Rattenhaftes an sich hatte. Irgendwann in den sechziger Jahren zeigte ich ihm ein Bild von Woody Guthrie, und er glaubte selbst, er sei es. Guthrie hatte auf dem
Foto eine Gitarre im Arm -
»Was ist das für eine Gitarre? Ich hab doch nicht so eine Gitarre!« -; an der Gitarre erkannte er, daß es ein anderer war; meine Mutter und ich haben uns schief gelacht. Wie Woody Guthrie war mein Vater Musiker, und er war nie etwas anderes gewesen. Während des Krieges hatte er Miete, Essen und Versicherungen für sich und meine Großmutter verdient, indem er als der Contragitarrist in einem Schrammelquartett in den Heurigenlokalen auftrat, in Grinzing und Döbling, nach dem Krieg auch in den vom Bombenschutt freigelegten Kaffeehäusern und Schanigärten der Innenstadt. Mein Großvater lebte nicht mehr. Auch er war Musiker gewesen, auch er hatte die Contragitarre gespielt; das
Lukasser-Quartett war in den dreißiger und vierziger Jahren die erfolgreichste Schrammelformation der Stadt gewesen. Mein Vater hatte eine Handelsschule besucht, aber vorzeitig abgebrochen und
sich ab seinem sechzehnten Lebensjahr ganz der Musik verschrieben; nach dem Tod meines Großvaters übernahm er das Quartett. Er mochte es übrigens nicht, wenn man ihn einen Musiker nannte, er sagte:
»Ich bin ein Musikant. Mein Vater war ein Musikant, und ich bin ein Musikant.« Später, als er längst schon keine Schrammelmusik mehr spielte, bildete er sich eines Tages aus heiterem Himmel ein,
die »Fachwelt« (ein Wort, das er stets mit einer für mich beschämenden Unterwürfigkeit aussprach) lache über Musikant als Berufsbezeichnung - von da an bestand er darauf, Musiker genannt
zu werden.
Hauptsächlich aber trat er nach dem Krieg in den diversen Jazzlokalen auf, die vor allem in den amerikanisch besetzten Bezirken der Stadt eröffneten - in den ersten Monaten 1946 jede Woche eines. Die bekanntesten Lokale waren im Keller vom Café Landtmann, im Souterrain vom Rondell-Kino in der Riemergasse und die Bijou-Bar in der Naglergasse; der Embassy-Club in der Siebensterngasse im siebten Bezirk war der vornehmste Club, er wurde von einem Amerikaner geführt und war ausschließlich für amerikanische Soldaten gedacht. (Die Musiker, die hier spielten,
waren fast alle schwarz, die Zuhörer ohne Ausnahme weiß.) Österreicher durften das Lokal nur in Begleitung oder unter Vorlage einer schriftlichen Empfehlung eines (weißen) US-Bürgers besuchen.
Aber nur wenige Einheimische konnten sich Eintritt und Getränke leisten, gern gesehen waren sie in jedem Fall nicht.
Im Embassy-Club hörte Carl meinen Vater zum erstenmal. Mein Vater betrat allein die Bühne, für seine Musik ließ sich nicht so ohne weiteres eine Band zusammenstellen. Der Besitzer bat die Gäste, ihre Unterhaltungen, und die Kellnerinnen, ihre Arbeit zu unterbrechen.
»Ladies and Gentlemen, George Lukasser, the Genius!« »Ein schwer definierbares Widerstreben ging von ihm aus«, erzählte Carl.
»Der Zauber öffentlich zur Schau gestellter schlechter Laune. Er wirkte so hilflos. Wie ein Anfänger wirkte er. Als würde er zum erstenmal vor einem Publikum spielen und niemand hätte ihm gezeigt, wie das geht. Er war schon ein schlauer Hund und berechnend! Er tat alles, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Und wenn ihn die Leute auch nur deshalb anstarrten, weil sie darauf warteten, daß er das Übergewicht bekommt und vornüber von der Bühne fällt, solange sie still waren und nicht in eine andere Richtung schauten, war es ihm recht.«
Mein Vater war die Sensation des Abends; er war die Sensation des Clubs für über ein Jahr.
Am Anfang galt er wohl als eine Kuriosität; er spielte ein Instrument, wie die Amerikaner noch nie eines gesehen hatten, eine Gitarre mit zwei Hälsen, mit einem normalen Gitarrenhals für sechs Seiten und einem, der weiter oben aus dem Resonanzkasten trat, an dem sieben Baßsaiten aufgespannt waren, die aber nicht über ein Griffbrett liefen, also nicht gedrückt wurden, sondern nur angeschlagen oder gezupft. Carl, der in Wien aufgewachsen und seit seiner Kindheit selbstverständlich immer wieder in Heurigenlokalen gewesen war, war dieses Instrument vertraut, darüber staunte er nicht; aber über die Musik, die er zu hören bekam, staunte er.
© Hanser Verlag
ihm beschlossen gewesen, dass er sich mit ihm anfreunden wollte, dass er ihm - er betonte - »demütig« folgen und alle Schwierigkeiten beiseite räumen wollte, die sich mit Sicherheit über dem Weg dieses Mannes türmen würden.
Carl und mein Vater waren so verschieden, wie zwei Menschen nur verschieden sein können. Sie lernten einander in Wien nach dem Krieg kennen; mein Vater war vierundzwanzig, Carl bereits vierzig.
Wer schon einmal ein Bild des amerikanischen Folksängers Woody Guthrie gesehen hat, dem brauche ich meinen Vater nicht zu beschreiben - klein, sehnig, zäh, widerborstige dunkle Locken, das
Gesicht hager und blaß, im unteren Teil grau von den unbändig nachdrängenden Bartstoppeln, ernste alte Augen, ernster Mund, sogar wenn er bis über die Stockzähne lachte, was ansteckend war, aber
immer auch etwas Konspiratives, Rattenhaftes an sich hatte. Irgendwann in den sechziger Jahren zeigte ich ihm ein Bild von Woody Guthrie, und er glaubte selbst, er sei es. Guthrie hatte auf dem
Foto eine Gitarre im Arm -
»Was ist das für eine Gitarre? Ich hab doch nicht so eine Gitarre!« -; an der Gitarre erkannte er, daß es ein anderer war; meine Mutter und ich haben uns schief gelacht. Wie Woody Guthrie war mein Vater Musiker, und er war nie etwas anderes gewesen. Während des Krieges hatte er Miete, Essen und Versicherungen für sich und meine Großmutter verdient, indem er als der Contragitarrist in einem Schrammelquartett in den Heurigenlokalen auftrat, in Grinzing und Döbling, nach dem Krieg auch in den vom Bombenschutt freigelegten Kaffeehäusern und Schanigärten der Innenstadt. Mein Großvater lebte nicht mehr. Auch er war Musiker gewesen, auch er hatte die Contragitarre gespielt; das
Lukasser-Quartett war in den dreißiger und vierziger Jahren die erfolgreichste Schrammelformation der Stadt gewesen. Mein Vater hatte eine Handelsschule besucht, aber vorzeitig abgebrochen und
sich ab seinem sechzehnten Lebensjahr ganz der Musik verschrieben; nach dem Tod meines Großvaters übernahm er das Quartett. Er mochte es übrigens nicht, wenn man ihn einen Musiker nannte, er sagte:
»Ich bin ein Musikant. Mein Vater war ein Musikant, und ich bin ein Musikant.« Später, als er längst schon keine Schrammelmusik mehr spielte, bildete er sich eines Tages aus heiterem Himmel ein,
die »Fachwelt« (ein Wort, das er stets mit einer für mich beschämenden Unterwürfigkeit aussprach) lache über Musikant als Berufsbezeichnung - von da an bestand er darauf, Musiker genannt
zu werden.
Hauptsächlich aber trat er nach dem Krieg in den diversen Jazzlokalen auf, die vor allem in den amerikanisch besetzten Bezirken der Stadt eröffneten - in den ersten Monaten 1946 jede Woche eines. Die bekanntesten Lokale waren im Keller vom Café Landtmann, im Souterrain vom Rondell-Kino in der Riemergasse und die Bijou-Bar in der Naglergasse; der Embassy-Club in der Siebensterngasse im siebten Bezirk war der vornehmste Club, er wurde von einem Amerikaner geführt und war ausschließlich für amerikanische Soldaten gedacht. (Die Musiker, die hier spielten,
waren fast alle schwarz, die Zuhörer ohne Ausnahme weiß.) Österreicher durften das Lokal nur in Begleitung oder unter Vorlage einer schriftlichen Empfehlung eines (weißen) US-Bürgers besuchen.
Aber nur wenige Einheimische konnten sich Eintritt und Getränke leisten, gern gesehen waren sie in jedem Fall nicht.
Im Embassy-Club hörte Carl meinen Vater zum erstenmal. Mein Vater betrat allein die Bühne, für seine Musik ließ sich nicht so ohne weiteres eine Band zusammenstellen. Der Besitzer bat die Gäste, ihre Unterhaltungen, und die Kellnerinnen, ihre Arbeit zu unterbrechen.
»Ladies and Gentlemen, George Lukasser, the Genius!« »Ein schwer definierbares Widerstreben ging von ihm aus«, erzählte Carl.
»Der Zauber öffentlich zur Schau gestellter schlechter Laune. Er wirkte so hilflos. Wie ein Anfänger wirkte er. Als würde er zum erstenmal vor einem Publikum spielen und niemand hätte ihm gezeigt, wie das geht. Er war schon ein schlauer Hund und berechnend! Er tat alles, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Und wenn ihn die Leute auch nur deshalb anstarrten, weil sie darauf warteten, daß er das Übergewicht bekommt und vornüber von der Bühne fällt, solange sie still waren und nicht in eine andere Richtung schauten, war es ihm recht.«
Mein Vater war die Sensation des Abends; er war die Sensation des Clubs für über ein Jahr.
Am Anfang galt er wohl als eine Kuriosität; er spielte ein Instrument, wie die Amerikaner noch nie eines gesehen hatten, eine Gitarre mit zwei Hälsen, mit einem normalen Gitarrenhals für sechs Seiten und einem, der weiter oben aus dem Resonanzkasten trat, an dem sieben Baßsaiten aufgespannt waren, die aber nicht über ein Griffbrett liefen, also nicht gedrückt wurden, sondern nur angeschlagen oder gezupft. Carl, der in Wien aufgewachsen und seit seiner Kindheit selbstverständlich immer wieder in Heurigenlokalen gewesen war, war dieses Instrument vertraut, darüber staunte er nicht; aber über die Musik, die er zu hören bekam, staunte er.
© Hanser Verlag
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Autoren-Porträt von Michael Köhlmeier
Michael Köhlmeier, 1949 in Hard am Bodensee geboren, lebt in Hohenems/Vorarlberg und Wien. Er studierte Germanistik und Politologie in Marburg sowie Mathematik und Philosophie in Giessen und Frankfurt. Michael Köhlmeier schreibt Romane, Erzählungen, Hörspiele und Lieder und tritt sehr erfolgreich als Erzähler antiker und heimischer Sagenstoffe und biblischer Geschichten auf. Für seine Bücher erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Johann-Peter-Hebel-Preis, den Manès-Sperber-Preis, das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse, den Marie-Luise-Kaschnitz-Preis für sein Gesamtwerk und den Ferdinand-Berger-Preis für sein politisches Engagement.
Bibliographische Angaben
- Autor: Michael Köhlmeier
- 2015, 10. Aufl., 784 Seiten, Masse: 12,5 x 19,2 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: DTV
- ISBN-10: 3423137185
- ISBN-13: 9783423137188
- Erscheinungsdatum: 24.10.2008
Rezension zu „Abendland “
»Köhlmeier hat über sechs Jahre an seinem Roman gearbeitet. Ursprünglich schrieb er mehrere längere Erzählungen und dieses Verfahren ist noch ein wenig zu spüren, denn manche Abschnitte könnten unbesorgt für sich alleine stehen. Er verknüpft sie aber gekonnt miteinander und hat sein grosses Personal, das zu verschiedenen Zeitabschnitten und auf verschiedenen Kontinenten auftaucht, gut im Griff.« Buchkultur Dezember 2008
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