Balzac und die kleine chinesische Schneiderin
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Sie hat einen dicken schwarzen Zopf, zwei hinreissende Schühchen aus rosafarbener Seide und das zauberhafteste Lächeln, das man sich vorstellen kann: die kleine Schneiderin aus dem abgelegenen Bergdorf, in die sich der junge Luo gleich beim ersten Anblick verliebt.
Er und sein Freund, zwei Studenten, die zur kulturellen Umerziehung hierher ans Ende der Welt verschickt wurden, merken bald, dass sie nur eine einzige Möglichkeit haben, ihre Haut zu retten: Sie müssen in den Besitz jenes wunderbaren Lederkoffers gelangen, der die verbotenen Meisterwerke der westlichen Weltliteratur enthält.
Denn nur aus Balzac und Stendhal, aus Dostojewski und Dumas können sie die Lebensenergie und den Esprit schöpfen, die sie brauchen, um den Widrigkeiten ihres Daseins und der Willkür des Dorfältesten Paroli zu bieten. Und vielleicht können sie am Ende sogar das Herz der Schneiderin gewinnen.
Balzac und die kleine chinesische Schneiderin von Dai Sijie
LESEPROBE
Die Prinzessin des Phönix-des-Himmels trug ein Paar blassrosafarbene Schühchen aus glänzendem, aber solidem Stoff, unter dem sich ihreZehen abzeichneten, wenn sie mit dem Fuss den Tritt ihrer Nähmaschine bediente.Es waren gewöhnliche, billige Schuhe, in jener Berggegend jedoch, wo fast allebarfuss gingen, fielen sie auf. Sie wirkten raffiniertund teuer und ungeheuer elegant. Ihre Fesseln waren schmal und die Füsse in denweissen Nylonsöckchen zierlich geformt.
Ihr Haar war zu einemlangen, dicken Zopf geflochten mit einem leuchtendroten eingeflochtenen Satinband,das zu einer prächtigen, in ihrem Rücken baumelnden Schleife gebunden war.
Sie beugte sich über dieNähmaschine, deren glattes Tischblatt den Kragen ihrer weissen Bluse, ihr ovalesGesicht, den Glanz ihrer Augen widerspiegelte, der schönsten Augen des Bezirks Yong Jing, wenn nicht der ganzenProvinz.
Ein breites Tal trennteihr Dorf von unserem Dorf. Ihr Vater, der einzige Schneider weit und breit, warnicht oft im geräumigen alten Haus anzutreffen, das Werkstatt und Wohnungzugleich war. Wenn eine Familie neue Kleider nähen lassen wollte, ging man zuerstnach Yong Jing Stoffkaufen, dann suchte man den alten Schneider in seiner Werkstatt auf, um über denSchnitt zu beraten, über den Preis zu verhandeln und den ihm für dieAnfertigung genehmen Termin festzulegen. Am vereinbarten Tag holten ihn die Kundenrespektvoll ab, von ein paar muskulösen Männern begleitet, die abwechselnd dieNähmaschine auf dem Rücken trugen.
Er besass zweiNähmaschinen. Die eine - die, die er von Dorf zu Dorf mitnahm - war ein altesModell, auf dem weder die Marke noch der Name des Herstellers identifizierbarwaren. Die andere, Made in Shanghai, war neu. Die liess er für seineTochter, die Kleine Schneiderin, zu Hause. Er nahm seine Tochter nie mit zu denKunden, und dieser weise und unumstössliche Entschlusswar für die zahlreichen jungen Bauern eine bittere Enttäuschung.
Er führte einMandarin-Leben. Wenn er in ein Dorf kam, herrschte Aufregung und Gedränge wiean einem Volksfest. Das vom Surren seiner Nähmaschine widerhallende Haus wurdezum Mittelpunkt des Dorfes und war für die jeweiligen Gastgeber dieGelegenheit, ihren Reichtum vorzuzeigen. Die köstlichsten Gerichte wurden fürihn gekocht, und wenn sein Besuch in die Zeit der Vorbereitungen für dasNeujahrsfest fiel, schlachtete man sogar das Schwein. Er logierte reihum beiseinen verschiedenen Kunden und verbrachte oft ein oder zwei Wochen imgleichen Dorf.
Eines Tages wollten Luo und ich den Brillenschang besuchen,einen jungen aus unserer Stadt, der in einem
anderen Dorf umerzogenwurde. Es regnete; der steile, glitschige Weg war in milchigen Nebel gehüllt.Wir kamen nur langsam vorwärts und landeten immer wieder auf allen vieren imSchlamm. Als wir um eine Wegkrümmung bogen, kam uns unvermittelt eine Prozessionmit einer schaukelnden Sänfte in ihrer Mitte entgegen. Hinter der vornehmenTragchaise trottete ein Mann mit einer Nähmaschine auf dem Rücken. Der Besitzerder Nähmaschine beugte sich zu den Trägern hinunter, wahrscheinlich um sich zuerkundigen, wer wir waren.
Der Mann war klein,dürr, runzelig, aber trotz seines Alters offenbar noch sehr busper und voller Unternehmungslust. Seine Chaise, eine Artrudimentärer Palankin, war auf zwei lange, dickeBambusstangen gebunden, die ausbalanciert auf den Schultern der zwei Trägerlagen. Man hörte die Sänfte knarren und die Stangen knacken.
Als die Sänfte an unsvorbeikam, bückte sich der alte Schneider tief zu mir herunter, so dass ich seinen Atem an meinem Ohr spürte.
»Wai-o-lin!«rief er plötzlich laut.
Ich zuckte erschrocken zusammen.
Er lehnte sich schallendlachend in seinem Tragstuhl zurück wie ein exzentrischer kaiserlicher Hofbeamterauf Reisen.
»Wisstihr, dass unser Schneider der am weitesten gereisteMann in der Gegend ist?« fragte uns einer der Träger.
»In meinen jungen Jahren bin ichsogar bis nach Yan'an gekommen, zweihundert Kilometervon Yong Jing entfernt«,erklärte der grosse Marco Polo. Er zeigte auf meinen Geigenkasten: »Mein Meisterhatte ein solches Ding an der Wand hängen, um seinen Kunden zu imponieren.«Dann zog die kleine Prozession im Gänsemarsch weiter. Bevor er hinter derWegkehre verschwand, wandte sich der Alte nochmals um.
»Wai-o-lin!«rief er uns schalkhaft zu.
Die Träger und die zehnBauern in seinem Geleit warfen feierlich den Kopf in den Nacken und stiessen einenlanggezogenen Schrei aus, der eher wie ein schmerzlicherSeufzer denn wie ein englisches Wort klang:
» Waüi-ooo-liiin!«
Dann brachen sie inlausbübisches Gelächter aus, beugten sich nach vorn und setzten ihren Weg fort.Kurz darauf war der Zug im Nebel verschwunden.
Ein paar Wochen spätersuchten wir das Haus des Schneiders auf. Im Hof lief uns ein grosser schwarzer Hundentgegen; er liess uns nicht aus den Augen, bellte aber nicht. Wir betraten dieWerkstatt. Der alte Schneider war wieder einmal unterwegs, und wir machten dieBekanntschaft seiner Tochter, der Kleinen Schneiderin. Wir fragten sie, ob sieLuos Hose um fünf Zentimeter verlängern könne, denner war trotz der mangelhaften Ernährung, trotz der Schlaflosigkeit und seinerZukunftsängste in die Höhe geschossen. (...)
© 2001Piper Verlag GmbH, München
Übersetzung:Giò Waeckerlin Induni
- Autor: Dai Sijie
- 2010, 31. Aufl., 208 Seiten, Masse: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Giò Waeckerlin Induni
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 3492238696
- ISBN-13: 9783492238694
- Erscheinungsdatum: 01.07.2003
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