Die Pfeiler des Glaubens
Roman
Andalusien, 1568: Es herrscht ein blutiger Glaubenskrieg zwischen Christen und spanischen Muslimen. Mitten drin: der junge Maure Hernando. Dann verliebt er sich in die Muslimin Fatima. Hat ihre Liebe eine Chance?
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Produktinformationen zu „Die Pfeiler des Glaubens “
Andalusien, 1568: Es herrscht ein blutiger Glaubenskrieg zwischen Christen und spanischen Muslimen. Mitten drin: der junge Maure Hernando. Dann verliebt er sich in die Muslimin Fatima. Hat ihre Liebe eine Chance?
Klappentext zu „Die Pfeiler des Glaubens “
Andalusien 1568. Nach Jahren der Unterdrückung erheben sich die Mauren gegen ihre christlichen Peiniger. Unter den Aufständischen ist auch Hernando Ruiz, ein junger Mann mit auffallend blauen Augen, gezeugt bei der brutalen Vergewaltigung einer Muslimin durch einen Priester. Von Geburt an als Aussenseiter gezeichnet, führt Hernando einen einsamen Kampf, bis die Liebe zu einer Frau ihm Hoffnung auf ein neues Leben schenkt, aber auch eine schreckliche Entscheidung abverlangt ...
Lese-Probe zu „Die Pfeiler des Glaubens “
Die Pfeiler des Glaubens von Ildefonso Falcones Aus dem Spanischen von Stefanie Karg
1
Juviles, Alpujarras, Königreich Granada Sonntag, 12. Dezember 1568
Das morgendliche Läuten der Kirchenglocken durchdrang die eisige Kälte in dem kleinen Dorf am Fuße der Sierra Nevada. Das metallische Echo brach sich in den felsigen Schluchten des Südhanges, erfüllte das fruchtbare Tal mit seinen Flüssen Guadelfo, Adra und Andarax, die sich aus den zahllosen Gebirgsbächen der verschneiten Gipfel speisten, und wurde schließlich von den steilen Hängen der Sierra Contraviesa zurückgeworfen. Jenseits davon erstreckten sich die steilen Täler der Alpujarras bis hin zum Mittelmeer. Etwa zweihundert Männer, Frauen und Kinder schleppten sich in der fahlen Wintersonne zur Kirche und versammelten sich schweigend am Hauptportal.
Vor dem schlichten ockerfarbenen Gotteshaus mit seinem wuchtigen Glockenturm lag ein weitläufiger Vorplatz, von dem aus sich ein Gewirr aus engen Gassen über den Hang ausbreitete. Die vielen kleinen Gebäude waren nur grob verputzt: ein- oder zweistöckige weiß getünchte Wohnhäuser mit winzigen Türen und Fenstern, Flachdächern und runden Kaminen. Auf den Flachdächern lagen Feigen, Paprika und Weintrauben zum Trocknen ausgebreitet. Die Dächer der weiter unten am Hang errichteten Häuser reichten meist gerade so an die Fundamente der weiter oben gelegenen heran, dass es von Weitem so wirkte, als wären sie aufeinander gebaut.
... mehr
Auf dem verschneiten Kirchplatz standen bereits einige Kinder und etwa zwanzig Altchristen des Dorfes. Sie beobachteten eine alte Frau mit arabischen Gesichtszügen, die auf der obersten Sprosse einer an die Hauptfassade der Kirche gelehnten Leiter stand und die Winter- kälte seit den frühen Morgenstunden ohne Mantel ertragen musste. Sie zitterte am ganzen Leib und klapperte mit den wenigen ihr noch verbliebenen Zähnen. Die eintreffenden Dorfbewohner waren allesamt Morisken, die muslimischen Nachfahren der in Spanien einst so mächtigen Mauren, vom König zur Taufe und zum öffentlichen Bekenntnis zum Christentum gezwungen. Diese Neuchristen gingen langsam auf die Kirche zu, ohne dabei den Blick von der alten Moriskin abzuwenden, die verzweifelt versuchte, das Gleichgewicht zu halten. Das Gelächter der Altchristen brach das Schweigen.
»Hexe!«
Mehrere Steine trafen die alte Frau, und die unterste Sprosse war bald mit Spucke bedeckt.
Das Läuten der Glocken verebbte, und die letzten Dorfbewohner eilten in die Kirche. Im unbeheizten Inneren kniete nur wenige Schritte vom Altar entfernt ein imposanter dunkelhaariger Mann mit sonnengegerbtem Gesicht auf dem eisigen Steinboden. Er hatte einen Strick um den Hals und die Arme wie ein Gekreuzigter von sich gestreckt. In jeder Hand hielt er eine brennende Kerze.
Vor einigen Tagen hatte dieser Mann der alten Frau auf der Leiter das Hemd seiner kranken Ehefrau gegeben, damit sie es in einer Quelle wusch, deren Wasser als heilkräftig galt. In dieser zwischen den schroffen Felsen und der üppigen Vegetation der Sierra Nevada versteckten Quelle wurde normalerweise keine Wäsche gewaschen. Als der Dorfpfarrer Don Martín die alte Frau dabei überraschte, wie sie das Hemd ins Wasser tauchte, war er sofort davon überzeugt, dass dies Hexen- werk sei - die Strafe ließ nicht lange auf sich warten: Sie musste den Sonntagmorgen auf der Leiter zubringen, dem öffentlichen Spott ausgesetzt. Doch auch der Moriske, der sie zur Hexerei angestiftet hatte, musste büßen und dem Gottesdienst kniend beiwohnen.
Kaum hatten die Dorfbewohner die Kirche betreten, trennten sich die Männer von den Frauen, die sich mit ihren Töchtern in die vorderen Bankreihen setzten. Der kniende Büßer starrte ihnen mit leerem Blick entgegen. Alle Anwesenden kannten ihn: Er war ein rechtschaffener Mann, der friedlich sein Land bestellte und sein Vieh versorgte. Er hatte doch nur seiner kranken Frau helfen wollen! Sobald alle Platz genommen hatten, begaben sich der Pfarrer Don Martín, der Pfründenbesitzer Don Salvador und der junge Sakristan Andrés zum Altar. Don Martín, ein stolzer Mann mit blassem Gesicht und rosigen Wangen, trug ein goldbesticktes Priestergewand aus Seide und machte es sich mit Blick zu den Gläubigen in einem thronartigen Sessel bequem, flankiert vom Pfründenbesitzer und dem jungen Sakristan. Die Kirchentür wurde geschlossen, und die Flammen der Kerzen hörten auf zu flackern. Die bunte Mudéjar-Holzkassettendecke der Kirche strahlte über dem so nüchternen wie tragischen Altarbild und den düsteren Gemälden der Seitenwände.
Der hagere, dunkelhäutige Sakristan schlug ein Buch auf und hüstelte.
»Francisco Alguacil«, las er laut vor.
»Hier.«
Andrés überprüfte, woher die Antwort kam, und trug etwas in das Buch ein.
»José Almer.«
»Hier.«
»Milagros Garvía. María Ambroz ...« Je weiter Andrés in der Liste kam, desto knarrender wurde seine Stimme.
»Marcos Núñez.«
»Hier.«
»Du hast letzten Sonntag gefehlt«, stellte der Sakristan fest.
»Ich war ...«, setzte der Mann zu einer Erklärung an, fand aber nicht die richtigen Worte und beendete den Satz auf Arabisch, während er aufgeregt ein Dokument hervorholte.
»Komm her«, befahl Andrés.
»Ich war in Ugíjar«, stieß er endlich hervor und brachte dem Sakristan das Dokument.
Andrés überflog das Schreiben und reichte es dem Pfarrer, der den Inhalt sorgfältig prüfte und kurz nickte. Der Prior der Stiftskirche von Ugíjar bestätigte, dass der Neuchrist Marcos Núñez aus Juviles am Sonntag, dem 5. Dezember, beim Hauptamt in jener Stadt gewesen war.
Über das Gesicht des Sakristans huschte ein sanftes Lächeln. Jeden Sonntag und an allen hohen Feiertagen musste er die Anwesenheit der Neuchristen überprüfen. Einige Aufrufe blieben unbeantwortet, was sorgfältig vermerkt wurde. Im Gegensatz zu Marcos Núñez konnten zwei Frauen ihr Fortbleiben am vorigen Sonntag nicht rechtfertigen und begannen hastig sich zu entschuldigen. Andrés blickte zum Pfarrer. Eine der Frauen gab ihren Versuch abrupt auf, als Don Martín ihr mit einer herrischen Geste bedeutete zu schweigen, die andere Frau behauptete, sie sei am letzten Sonntag krank gewesen.
»So fragt doch meinen Mann!«, rief sie und sah sich verzweifelt nach ihrem Ehemann um, der in einer der hinteren Reihen saß. »Er wird euch ...«
»Sei still, du Teufelsanbeterin!« Don Martíns Brüllen brachte die Moriskin zum Schweigen, und der junge Sakristan notierte die Namen der beiden Frauen und die zu entrichtende Strafe: Sie sollten jeweils einen halben Real bezahlen.
Nachdem Andrés die Anwesenden gezählt hatte, begann Don Martín mit der Messe - nicht jedoch ohne den Sakristan vorher darauf hinzuweisen, dass der Büßer die Kerzen höher halten solle.
»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes ...«
Nur wenige verstanden die Worte aus der Heiligen Schrift, und die meisten konnten der Zeremonie und den zahlreichen Wutausbrüchen des Priesters während der Predigt kaum folgen.
»Glaubt ihr etwa, das Wasser irgendeiner Quelle könne euch von einer Krankheit heilen?« Don Martín deutete auf den knienden Mann. Er drohte ihm mit dem Zeigefinger, und sein Gesicht war angespannt. »Kehrt um und tut Buße. Christus allein kann euch von Sorge und Leid erlösen, mit denen der Herr eure Zügellosigkeit, eure Blasphemie und eure Ketzerei bestraft!«
Viele Morisken verstanden kein Spanisch und verständigten sich mit den Christen durch eine Mischung aus Arabisch und Spanisch. Aber alle mussten das Vaterunser, das Ave-Maria, das Glaubensbekenntnis, das Salve-Regina und die Zehn Gebote aufsagen können, sonst wurden sie bestraft oder durften nicht heiraten. Die Männer und Frauen mussten deshalb den Katechismusunterricht besuchen. Erst wenn sie die Gebete auswendig aufsagen konnten, wurden sie vom Unterricht befreit.
Beim Gottesdienst sprachen alle die Gebete mit. Die Kinder schrien dabei so laut, dass die Eltern den Priester täuschen und heimlich »Allahu akbar«, »Allah ist groß«, dazwischenrufen konnten.
»O Erhabener! Führe mich mit deiner Macht ...«, rief ein junger Moriske im Tumult des Vaterunser-Geschreis der Kinder.
Der Pfründenbesitzer Don Salvador drehte sich wütend zu ihnen und lauschte angestrengt.
Ein anderer Moriske nutzte die Gelegenheit und flehte: »O Stifter des Friedens ...«
Don Salvador wurde rot vor Zorn.
Erst am Ende des Gebetes konnte man wieder die schroffe Stimme des Priesters heraushören.
»Lob sei Gott!«, wagte jetzt noch jemand in einer der hinteren Reihen zu rufen.
Die meisten Morisken erstarrten, einige richteten den Blick auf Don Salvador. Wer hatte es gewagt, Allah so offen zu preisen? Der Pfründenbesitzer drängte sich durch die Reihen und stieß dabei einige Männer zur Seite, konnte den Gotteslästerer aber nicht ausmachen.
Als die erste Hälfte des Gottesdienstes vorbei war, nahmen der Sakristan und der Pfründenbesitzer unter dem wachsamen Auge des Priesters die Gaben der Gemeinde entgegen: Münzen, Brot, Eier, Leinenstoff ... Nur die Armen waren von der milden Gabe ausgenommen. Wenn hingegen die reichsten Gemeindemitglieder an drei Sonntagen hintereinander nichts abgaben, wurden sie bestraft. Andrés notierte sorgfältig, wer etwas und was jemand gab.
Als die »Todesglocke« erklang, wie die Morisken das helle Glöckchen nannten, das bei der Wandlung geläutet wurde, knieten sie missmutig zwischen den frommen Altchristen nieder. Das Glöckchen klingelte in dem Moment, in dem der Priester mit dem Rücken zur Gemeinde die Hostie hochhielt. Es ertönte wieder, als er den Kelch anhob. Don Martín wollte gerade die Einsetzungsworte sprechen, als er sich wegen der allgemeinen Unruhe in der Kirche plötzlich wutentbrannt umdrehte.
»Hunde!«, schrie er. »Haltet den Mund, ihr Häretiker! Kniet euch so hin, wie es sich gehört, um Christus, den einzig wahren Gott, zu empfangen! Du da!« Er deutete mit dem dünnen Zeigefinger auf einen alten Mann in der dritten Reihe. »Du wirst hier nicht deinem falschen Gott huldigen. Und ihr sollt euren Blick heben, wenn ihr das heilige Sakrament empfangt!«
Sein vernichtender Blick bohrte sich in zwei Morisken, ehe er mit dem Gottesdienst fortfuhr. Dann gingen die Männer und Frauen schweigend zu ihm. Die Altchristen empfingen den Segen mit Ehrfurcht, die meisten Neuchristen scherzten hingegen heimlich über diesen heiligen »Kuchen « und bekreuzigten sich verkehrt herum. Nach dem Friedenssegen verließ die Gemeinde die Kirche. Die Morisken eilten nach Haus, um den »Kuchen« wieder auszuspeien.
Die wenigen Altchristen des Dorfes standen noch immer vor der Kirchentür, um miteinander zu schwatzen. Sie achteten nicht darauf, dass ihre Kinder die alte Frau beschimpften, die inzwischen völlig entkräftet von der Leiter gefallen war und nun reglos und schwer atmend am Boden lag. In der Kirche warfen der Priester und seine beiden Gefährten dem Büßer unaufhörlich sein Vergehen vor, während sie die liturgischen Gegenstände vom Altar einsammelten und in die Sakristei brachten.
2
Die Morisken haben die Revolte begonnen, das ist wahr, doch es sind die Altchristen mit ihrer Arroganz, ihren Plünderungen und ihrer Rohheit, mit der sie die Frauen nehmen, die sie zur Verzweiflung treiben. Selbst die Geistlichen verhalten sich schändlich. Eine ganze Moriskengemeinde beschwerte sich unlängst beim Erzbischof über ihren Pfarrer. Er solle versetzt werden, bat die Gemeinde ... Oder man solle ihn zumindest verheiraten, denn »alle unsere Kinder kommen mit seinen blauen Augen zur Welt«.
FRANCÉS DE ÁLAVA, Spaniens Gesandter in Frankreich an Philipp II., 1568
Juviles war das größte von etwa zwei Dutzend Dörfern, die über die südlichen Ausläufer der Sierra Nevada verstreut lagen. Nur ein Viertel des felsigen Gebietes wurde bewässert und mit Weizen und Gerste bebaut. Der größere Teil war mit Weinstöcken, Olivenhainen, Feigen-, Esskastanien-, Walnuss- und vor allem unzähligen Maulbeerbäumen für die Seidenraupenzucht bepflanzt. Auch wenn die Seide aus Juviles nicht ganz so geschätzt wurde wie die aus anderen Gegenden der Alpujarras, war sie doch die wichtigste Einnahmequelle der Region.
Die Morisken bewirtschafteten auch noch das steilste Stück Land bis zu den hohen Gipfeln. Jeder fruchtbare Winkel wurde durch eines der unzähligen Terrassenfelder nutzbar gemacht. Eines Tages, als die Sonne schon im Zenit stand, kehrte Hernando Ruiz von einem dieser Felder nach Juviles zurück. Der Junge war etwas über vierzehn Jahre alt, schlank und sehr flink. Er hatte dunkelbraunes Haar, und unter seinen buschigen Augenbrauen leuchteten große, auffallend blaue Augen.
Es war kalt, aber die Mittagssonne milderte die eisige Winterluft aus der Sierra Nevada. Hernando hatte gerade die letzten Früchte eines alten, knorrigen Olivenbaums geerntet, die beim Schütteln nicht herabgefallen waren. Er war zwischen den krumm gewachsenen Ästen hinaufgeklettert und hatte die noch unreifen Oliven von Hand gepflückt. Am liebsten wäre er dort geblieben, hätte Unkraut gejätet und wäre anschließend zu einem anderen Terrassenfeld gegangen, wo der alte Hamid vermutlich gerade seinen bescheidenen Landbesitz bearbeitete. Nur wenn die beiden allein waren, auf dem Feld arbeiteten oder in den Bergen Heilkräuter suchten, nannte Hernando ihn »Hamid« und nicht »Francisco« - denn das war sein christlicher Name, auf den er getauft worden war. Fast alle Morisken hatten zwei Namen: einen christlichen und einen muslimischen. Nur Hernando war einfach »Hernando« - im Dorf machte man sich deshalb oft über ihn lustig und verspottete ihn als den »Nazarener«.
Beim Gedanken daran verlangsamte der Junge seinen Schritt. Er war kein Nazarener! Er fegte mit dem Fuß einige Steine vom Weg und ging dann weiter in Richtung seines Zuhauses, das außerhalb des eigentlichen Dorfes lag. Dort hatte seine Familie genügend Platz gefunden, um eine zusätzliche Hütte zu bauen, die als Stall für die sechs Maultiere diente, mit denen sein Stiefvater durch die Alpujarras zog - sowie für das siebte, Hernandos Lieblingstier: die gute Alte.
Vor etwa einem Jahr hatte seine Mutter ihm den Grund für den verhassten Spitznamen erklärt. Er hatte seinem Stiefvater Ibrahim - »José« für die Christen - eines Morgens bei Sonnenaufgang geholfen, die Maultiere aufzuzäumen. Nach getaner Arbeit, als er sich mit einem sanften Klaps von der Alten verabschiedet hatte, warf ihn plötzlich eine heftige Ohrfeige zu Boden.
»Du Christenhund!«, schrie Ibrahim zornig. Der Junge schüttelte sich, um wieder zu sich zu kommen. Er glaubte hinter dem Stiefvater seine Mutter zu erkennen, wie sie mit gesenktem Haupt im Haus verschwand. »Du hast dem Tier den Sattelgurt falsch angelegt!«, brüllte Ibrahim. »Soll es sich unterwegs etwa wund reiben und dann nicht mehr arbeiten können? Du bist wirklich ein nutzloser Nazarener.« Ibrahim spuckte auf den Boden. »Du bist und bleibst ein Christenbastard. «
Hernando floh vor seinem Stiefvater und versteckte sich in einer Ecke des Stalls. Sobald das Hufklappern der Lasttierkolonne Ibrahims Aufbruch verkündete, erschien seine Mutter Aischa in der Hütte und brachte ihm einen Becher mit Limonade.
»Tut's noch weh?«, fragte sie, kniete vor ihm nieder und fuhr ihm zärtlich durchs Haar.
»Warum sagen alle ›Nazarener‹ zu mir?«, schluchzte Hernando. Aischa schloss angesichts der Tränen ihres Sohns kurz die Augen und versuchte dann liebevoll, sein Gesicht zu trocknen. Hernando sah sie an. »Warum?«
»Einverstanden, du bist jetzt alt genug.« Aischa nickte kurz, setzte sich neben ihn auf den Boden und holte tief Luft. »Weißt du, vor etwas mehr als vierzehn Jahren hat sich der Pfarrer meines Heimatdorfes in Almería an mir vergangen ...« Hernando sprang auf und starrte sie entsetzt an. »Ja, mein Junge. Ich schrie und wehrte mich, so wie es unsere Gesetze vorschreiben. Aber der Priester war so kräftig. Er hat mich weit außerhalb des Dorfes angesprochen, mitten auf dem Feld, am späten Vormittag. Es war ein sonniger Tag ...«, erinnerte sie sich. »Dann ...«, ihre Miene verfinsterte sich. »Ich war doch vollkommen hilflos!«, brach es aus ihr heraus. »Er hat meine Kleider mit einer einzigen Handbewegung zerrissen. Dann hat er mich auf den Boden gedrückt und ...«
Aischa kehrte schwer atmend in die Gegenwart zurück und begegnete dem Blick ihres Sohnes.
»Du bist das Ergebnis dieser Schändung«, flüsterte sie. »Sie nennen dich den Nazarener, weil dein Vater ein christlicher Prediger ist. Es ist alles meine Schuld ...« Hernando brach erneut in Tränen aus. Auch Aischa kämpfte gegen den Strom der eigenen Tränen. Der Becher mit Limonade glitt ihr aus der Hand, als sie ihrem Sohn in die Arme fiel.
Die junge Aischa hatte mit den Hilfeschreien damals zwar ihre Ehre gerettet, aber als ihre Schwangerschaft offensichtlich wurde, suchte ihr Vater, ein einfacher Maultiertreiber, nach einem Weg, die Schande nicht fortwährend ansehen zu müssen. Die Lösung fand er in Ibrahim, einem jungen, gut aussehenden Maultiertreiber aus Juviles, dem er unterwegs des Öfteren begegnet war. Er bot ihm die Hand seiner Tochter und zwei Mulis als Mitgift an: ein Tier für das Mädchen und das andere für das ungeborene Kind. Ibrahim zögerte, aber er war jung, arm und konnte die Tiere gut brauchen. Außerdem, wer sagte denn, dass dieses Wesen jemals das Licht der Welt erblicken würde? Oder vielleicht würde es nicht einmal die ersten Monate überstehen ... In dieser Gegend starben viele Kinder kurz nach der Geburt.
Ibrahim widerte die Vorstellung zwar an, dass ein Priester Aischa geschändet hatte, aber er ließ sich auf den Handel ein und nahm sie mit zu sich nach Juviles.
Doch Hernando kam als kräftiger Säugling zur Welt, noch dazu mit den blauen Augen des Priesters. Die Umstände seiner Zeugung kamen schnell ans Licht, und die Dorfbewohner hatten zwar Mitleid mit der jungen Frau, nicht aber mit dem Kind. Ihre Verachtung wurde noch größer, als sie merkten, wie sehr sich Don Martín und Andrés um den Jungen bemühten - so als wollten sie den Bastard des Priesters vor Mohammeds Anhängern retten.
Als Hernando seiner Mutter später die frisch geernteten Oliven gab, konnte sein Lächeln Aischa nicht täuschen. Sie fuhr ihm zärtlich durchs Haar, wie immer, wenn sie ihn traurig erlebte, und er ließ es trotz der anwesenden vier Stiefgeschwister zu. Seine Mutter konnte ihm nur äußerst selten ihre Liebe zeigen - nur dann, wenn sein Stiefvater nicht da war. Ibrahims Hass gegen den Nazarener mit den blauen Augen, den Lieblingsschüler der christlichen Geistlichen, war mit der Geburt seiner eigenen vier Kinder nur noch größer geworden. Mit neun Jahren wurde Hernando in den Stall verbannt und durfte nur noch dann im Wohnhaus essen, wenn sein Stiefvater unterwegs war. An diesem Tag stand das Essen bereits auf dem Tisch, und Hernandos vier Stiefgeschwister warteten auf ihn. Selbst der Jüngste, der vierjährige Musa, zog in seiner Anwesenheit ein mürrisches Gesicht.
»Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes«, sagte Hernando, ehe er sich auf den Boden setzte.
Der kleine Musa und sein siebenjähriger Bruder Aquil taten es ihm gleich und griffen mit den Fingern nach dem Essen: Lamm und Artischocken, mit Minze, Koriander und Safran in Essig und Öl gekocht. Raissa und Zahara, seine beiden Stiefschwestern, warteten darauf, dass die männlichen Familienmitglieder mit dem Essen fertig waren, damit sie selbst beginnen konnten.
Nach dem Lammgericht brachte die elfjährige Zahara noch ein Tablett mit Rosinen, aber Hernando blieb keine Zeit: Er hörte ein dumpfes Klappern in der Ferne und hob den Kopf. Seine Stiefbrüder bemerkten seine Unruhe und hörten auf zu essen. Keiner konnte die Ankunft der Maultiere so früh hören wie Hernando.
»Die Alte kommt!«, rief der kleine Musa.
Ibrahim kehrte nach Hause zurück.
»Lob sei Gott«, beendete Hernando die Mahlzeit und stand schnell auf.
Draußen wartete die ausgezehrte Alte geduldig auf ihn, sie trug kein Zaumzeug und war mit Sattelwunden übersät.
»Komm, Alte«, sagte Hernando und führte sie in den Stall.
Das ungleichmäßige Klappern der Hufe begleitete sie. Im Stall legte er ihr etwas Stroh hin und strich ihr über den Hals.
»Wie war die Reise?«, flüsterte er und untersuchte eine Wunde, die sie vorher noch nicht gehabt hatte.
Er sah ihr kurz beim Fressen zu, dann lief er schnell los - den Berghang hinauf. Sein Stiefvater erwartete ihn bestimmt schon im Versteck etwas abseits des Weges nach Ugíjar. Hernando lief einige Zeit querfeldein und achtete darauf, keinem Altchristen zu begegnen. Er umging die eingesäten Terrassenfelder und alle anderen Stellen, an denen zu dieser Tageszeit womöglich noch gearbeitet wurde. Ein wenig außer Atem gelangte er an eine nur schwer zugängliche Stelle, von der aus man auf die steile Felswand blicken konnte, wo Ibrahim bereits auf einem Vorsprung auf ihn wartete. Hinter dem Morisken standen die sechs schwer beladenen Maultiere, und im Fels konnte man viele Öffnungen erkennen, die in kleine Höhlen führten.
Ibrahim war ein großer, kräftiger Mann mit Vollbart. Er trug einen grünen Hut mit breiter Krempe und einen halblangen blauen Umhang, unter dem ein kurzer plissierter Rock hervorragte, der die Oberschenkel vor der Kälte schützte. Die Unterschenkel waren nackt, und an den Füßen trug er Lederschuhe mit Riemen. Zum Jahreswechsel würden die neuen Gesetze in Kraft treten. Dann musste Ibrahim wie alle Morisken im Königreich Granada seine Volkstracht gegen die übliche Kleidung der Christen eintauschen. Im Gürtel glänzte - obwohl dies schon jetzt verboten war - ein Krummdolch.
Als er seinen Stiefvater in der Ferne erblickte, verlangsamte Hernando seinen Schritt. Die Furcht, die ihn in dessen Nähe immer überkam, bedrückte ihn. Wie würde er ihn diesmal empfangen? Beim letzten Mal hatte er ihm eine Ohrfeige verpasst, weil er sich angeblich verspätet hatte, dabei war er ohne Umwege zu ihrem Treffpunkt gerannt. Auf den letzten Schritten zu Ibrahim beeilte er sich wieder.
»Warum kommst du so spät?«, fuhr ihn sein Stiefvater an.
Als Hernando sich an seinem Stiefvater vorbeizwängte, ging er in Deckung. Dennoch traf ihn ein heftiger Schlag am Kopf. Er stolperte auf das erste Maultier zu und schlüpfte dann geschickt an den übrigen Tieren vorbei in eine der Felshöhlen hinein. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, begann er die Waren, die sein Stiefvater von den Tieren ablud, in das sichere Versteck zu bringen.
»Das Öl hier ist für Juan«, sagte Ibrahim und reichte ihm einen bauchigen Tonkrug. Angesichts des fragenden Blicks seines Stiefsohns fügte er noch den muslimischen Namen hinzu: »Ich meine Aisar. Und der hier ist für Faris.« Hernando verstaute die Waren in der Höhle und versuchte sich die Namen der jeweiligen Besitzer zu merken. Als die Maultiere von der Hälfte ihrer Last befreit waren, brach Ibrahim nach Juviles auf. Hernando blieb am Höhleneingang zurück und ließ seinen Blick über die weite Landschaft bis zur Sierra Contraviesa schweifen. Aber er hielt sich nicht lange damit auf, da er diesen Ausblick in- und auswendig kannte. Er ging in die Höhle und betrachtete neugierig die Gegenstände, die sie soeben abgeladen hatten, und die vielen anderen, die dort bereits seit Längerem lagerten. Hunderte ähnliche Höhlen dienten den Morisken in den Alpujarras inzwischen als Versteck für ihren Besitz. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit würden die Männer kommen und die Dinge mitnehmen, die sie brauchten. Jeder Transport lief gleich ab. Von wo auch immer der Stiefvater aufgebrochen war, bevor er Juviles erreichte, band er die Alte los und schickte sie nach Hause. »Sie kennt die Alpujarras besser als jeder von uns. Ich habe mein ganzes Leben auf diesen Wegen verbracht, und trotzdem hat mir das Maultier schon einige Male das Leben gerettet «, erzählte der Treiber immer wieder. Wenn Ibrahim sie losließ, trottete die Alte allein nach Hause, und Hernando lief sofort zu den Höhlen, um seinen Stiefvater zu treffen. Dort luden sie die Hälfte der Handelswaren ab, um so die hohen Steuern zu halbieren, die sein Stiefvater zu entrichten hatte. Die vielen Pachtherren, die den Zehnt oder die Erstlingsabgabe erhielten, und die zahllosen Büttel, die die Geldstrafen einzogen, hatten es sich angewöhnt, in die Häuser der Morisken einzudringen und alles mitzunehmen oder zu pfänden, was ihnen in die Hände fiel, selbst wenn der Wert der Gegenstände die eigentlichen Schulden überstieg. Später notierten sie nicht einmal den Erlös aus der Versteigerung, und die Morisken verloren auf diese Weise langsam, aber sicher ihren Besitz. Sie hatten bereits viele Klagen beim Richter von Ugíjar, beim Bischof und sogar beim Corregidor von Granada, dem Vertreter der Krone, vorgebracht, aber sie stießen nur auf taube Ohren, und die christlichen Steuereintreiber beuteten sie weiterhin ungestraft aus. Deshalb taten es alle Ibrahim gleich.
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010 beim C. Bertelsmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Auf dem verschneiten Kirchplatz standen bereits einige Kinder und etwa zwanzig Altchristen des Dorfes. Sie beobachteten eine alte Frau mit arabischen Gesichtszügen, die auf der obersten Sprosse einer an die Hauptfassade der Kirche gelehnten Leiter stand und die Winter- kälte seit den frühen Morgenstunden ohne Mantel ertragen musste. Sie zitterte am ganzen Leib und klapperte mit den wenigen ihr noch verbliebenen Zähnen. Die eintreffenden Dorfbewohner waren allesamt Morisken, die muslimischen Nachfahren der in Spanien einst so mächtigen Mauren, vom König zur Taufe und zum öffentlichen Bekenntnis zum Christentum gezwungen. Diese Neuchristen gingen langsam auf die Kirche zu, ohne dabei den Blick von der alten Moriskin abzuwenden, die verzweifelt versuchte, das Gleichgewicht zu halten. Das Gelächter der Altchristen brach das Schweigen.
»Hexe!«
Mehrere Steine trafen die alte Frau, und die unterste Sprosse war bald mit Spucke bedeckt.
Das Läuten der Glocken verebbte, und die letzten Dorfbewohner eilten in die Kirche. Im unbeheizten Inneren kniete nur wenige Schritte vom Altar entfernt ein imposanter dunkelhaariger Mann mit sonnengegerbtem Gesicht auf dem eisigen Steinboden. Er hatte einen Strick um den Hals und die Arme wie ein Gekreuzigter von sich gestreckt. In jeder Hand hielt er eine brennende Kerze.
Vor einigen Tagen hatte dieser Mann der alten Frau auf der Leiter das Hemd seiner kranken Ehefrau gegeben, damit sie es in einer Quelle wusch, deren Wasser als heilkräftig galt. In dieser zwischen den schroffen Felsen und der üppigen Vegetation der Sierra Nevada versteckten Quelle wurde normalerweise keine Wäsche gewaschen. Als der Dorfpfarrer Don Martín die alte Frau dabei überraschte, wie sie das Hemd ins Wasser tauchte, war er sofort davon überzeugt, dass dies Hexen- werk sei - die Strafe ließ nicht lange auf sich warten: Sie musste den Sonntagmorgen auf der Leiter zubringen, dem öffentlichen Spott ausgesetzt. Doch auch der Moriske, der sie zur Hexerei angestiftet hatte, musste büßen und dem Gottesdienst kniend beiwohnen.
Kaum hatten die Dorfbewohner die Kirche betreten, trennten sich die Männer von den Frauen, die sich mit ihren Töchtern in die vorderen Bankreihen setzten. Der kniende Büßer starrte ihnen mit leerem Blick entgegen. Alle Anwesenden kannten ihn: Er war ein rechtschaffener Mann, der friedlich sein Land bestellte und sein Vieh versorgte. Er hatte doch nur seiner kranken Frau helfen wollen! Sobald alle Platz genommen hatten, begaben sich der Pfarrer Don Martín, der Pfründenbesitzer Don Salvador und der junge Sakristan Andrés zum Altar. Don Martín, ein stolzer Mann mit blassem Gesicht und rosigen Wangen, trug ein goldbesticktes Priestergewand aus Seide und machte es sich mit Blick zu den Gläubigen in einem thronartigen Sessel bequem, flankiert vom Pfründenbesitzer und dem jungen Sakristan. Die Kirchentür wurde geschlossen, und die Flammen der Kerzen hörten auf zu flackern. Die bunte Mudéjar-Holzkassettendecke der Kirche strahlte über dem so nüchternen wie tragischen Altarbild und den düsteren Gemälden der Seitenwände.
Der hagere, dunkelhäutige Sakristan schlug ein Buch auf und hüstelte.
»Francisco Alguacil«, las er laut vor.
»Hier.«
Andrés überprüfte, woher die Antwort kam, und trug etwas in das Buch ein.
»José Almer.«
»Hier.«
»Milagros Garvía. María Ambroz ...« Je weiter Andrés in der Liste kam, desto knarrender wurde seine Stimme.
»Marcos Núñez.«
»Hier.«
»Du hast letzten Sonntag gefehlt«, stellte der Sakristan fest.
»Ich war ...«, setzte der Mann zu einer Erklärung an, fand aber nicht die richtigen Worte und beendete den Satz auf Arabisch, während er aufgeregt ein Dokument hervorholte.
»Komm her«, befahl Andrés.
»Ich war in Ugíjar«, stieß er endlich hervor und brachte dem Sakristan das Dokument.
Andrés überflog das Schreiben und reichte es dem Pfarrer, der den Inhalt sorgfältig prüfte und kurz nickte. Der Prior der Stiftskirche von Ugíjar bestätigte, dass der Neuchrist Marcos Núñez aus Juviles am Sonntag, dem 5. Dezember, beim Hauptamt in jener Stadt gewesen war.
Über das Gesicht des Sakristans huschte ein sanftes Lächeln. Jeden Sonntag und an allen hohen Feiertagen musste er die Anwesenheit der Neuchristen überprüfen. Einige Aufrufe blieben unbeantwortet, was sorgfältig vermerkt wurde. Im Gegensatz zu Marcos Núñez konnten zwei Frauen ihr Fortbleiben am vorigen Sonntag nicht rechtfertigen und begannen hastig sich zu entschuldigen. Andrés blickte zum Pfarrer. Eine der Frauen gab ihren Versuch abrupt auf, als Don Martín ihr mit einer herrischen Geste bedeutete zu schweigen, die andere Frau behauptete, sie sei am letzten Sonntag krank gewesen.
»So fragt doch meinen Mann!«, rief sie und sah sich verzweifelt nach ihrem Ehemann um, der in einer der hinteren Reihen saß. »Er wird euch ...«
»Sei still, du Teufelsanbeterin!« Don Martíns Brüllen brachte die Moriskin zum Schweigen, und der junge Sakristan notierte die Namen der beiden Frauen und die zu entrichtende Strafe: Sie sollten jeweils einen halben Real bezahlen.
Nachdem Andrés die Anwesenden gezählt hatte, begann Don Martín mit der Messe - nicht jedoch ohne den Sakristan vorher darauf hinzuweisen, dass der Büßer die Kerzen höher halten solle.
»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes ...«
Nur wenige verstanden die Worte aus der Heiligen Schrift, und die meisten konnten der Zeremonie und den zahlreichen Wutausbrüchen des Priesters während der Predigt kaum folgen.
»Glaubt ihr etwa, das Wasser irgendeiner Quelle könne euch von einer Krankheit heilen?« Don Martín deutete auf den knienden Mann. Er drohte ihm mit dem Zeigefinger, und sein Gesicht war angespannt. »Kehrt um und tut Buße. Christus allein kann euch von Sorge und Leid erlösen, mit denen der Herr eure Zügellosigkeit, eure Blasphemie und eure Ketzerei bestraft!«
Viele Morisken verstanden kein Spanisch und verständigten sich mit den Christen durch eine Mischung aus Arabisch und Spanisch. Aber alle mussten das Vaterunser, das Ave-Maria, das Glaubensbekenntnis, das Salve-Regina und die Zehn Gebote aufsagen können, sonst wurden sie bestraft oder durften nicht heiraten. Die Männer und Frauen mussten deshalb den Katechismusunterricht besuchen. Erst wenn sie die Gebete auswendig aufsagen konnten, wurden sie vom Unterricht befreit.
Beim Gottesdienst sprachen alle die Gebete mit. Die Kinder schrien dabei so laut, dass die Eltern den Priester täuschen und heimlich »Allahu akbar«, »Allah ist groß«, dazwischenrufen konnten.
»O Erhabener! Führe mich mit deiner Macht ...«, rief ein junger Moriske im Tumult des Vaterunser-Geschreis der Kinder.
Der Pfründenbesitzer Don Salvador drehte sich wütend zu ihnen und lauschte angestrengt.
Ein anderer Moriske nutzte die Gelegenheit und flehte: »O Stifter des Friedens ...«
Don Salvador wurde rot vor Zorn.
Erst am Ende des Gebetes konnte man wieder die schroffe Stimme des Priesters heraushören.
»Lob sei Gott!«, wagte jetzt noch jemand in einer der hinteren Reihen zu rufen.
Die meisten Morisken erstarrten, einige richteten den Blick auf Don Salvador. Wer hatte es gewagt, Allah so offen zu preisen? Der Pfründenbesitzer drängte sich durch die Reihen und stieß dabei einige Männer zur Seite, konnte den Gotteslästerer aber nicht ausmachen.
Als die erste Hälfte des Gottesdienstes vorbei war, nahmen der Sakristan und der Pfründenbesitzer unter dem wachsamen Auge des Priesters die Gaben der Gemeinde entgegen: Münzen, Brot, Eier, Leinenstoff ... Nur die Armen waren von der milden Gabe ausgenommen. Wenn hingegen die reichsten Gemeindemitglieder an drei Sonntagen hintereinander nichts abgaben, wurden sie bestraft. Andrés notierte sorgfältig, wer etwas und was jemand gab.
Als die »Todesglocke« erklang, wie die Morisken das helle Glöckchen nannten, das bei der Wandlung geläutet wurde, knieten sie missmutig zwischen den frommen Altchristen nieder. Das Glöckchen klingelte in dem Moment, in dem der Priester mit dem Rücken zur Gemeinde die Hostie hochhielt. Es ertönte wieder, als er den Kelch anhob. Don Martín wollte gerade die Einsetzungsworte sprechen, als er sich wegen der allgemeinen Unruhe in der Kirche plötzlich wutentbrannt umdrehte.
»Hunde!«, schrie er. »Haltet den Mund, ihr Häretiker! Kniet euch so hin, wie es sich gehört, um Christus, den einzig wahren Gott, zu empfangen! Du da!« Er deutete mit dem dünnen Zeigefinger auf einen alten Mann in der dritten Reihe. »Du wirst hier nicht deinem falschen Gott huldigen. Und ihr sollt euren Blick heben, wenn ihr das heilige Sakrament empfangt!«
Sein vernichtender Blick bohrte sich in zwei Morisken, ehe er mit dem Gottesdienst fortfuhr. Dann gingen die Männer und Frauen schweigend zu ihm. Die Altchristen empfingen den Segen mit Ehrfurcht, die meisten Neuchristen scherzten hingegen heimlich über diesen heiligen »Kuchen « und bekreuzigten sich verkehrt herum. Nach dem Friedenssegen verließ die Gemeinde die Kirche. Die Morisken eilten nach Haus, um den »Kuchen« wieder auszuspeien.
Die wenigen Altchristen des Dorfes standen noch immer vor der Kirchentür, um miteinander zu schwatzen. Sie achteten nicht darauf, dass ihre Kinder die alte Frau beschimpften, die inzwischen völlig entkräftet von der Leiter gefallen war und nun reglos und schwer atmend am Boden lag. In der Kirche warfen der Priester und seine beiden Gefährten dem Büßer unaufhörlich sein Vergehen vor, während sie die liturgischen Gegenstände vom Altar einsammelten und in die Sakristei brachten.
2
Die Morisken haben die Revolte begonnen, das ist wahr, doch es sind die Altchristen mit ihrer Arroganz, ihren Plünderungen und ihrer Rohheit, mit der sie die Frauen nehmen, die sie zur Verzweiflung treiben. Selbst die Geistlichen verhalten sich schändlich. Eine ganze Moriskengemeinde beschwerte sich unlängst beim Erzbischof über ihren Pfarrer. Er solle versetzt werden, bat die Gemeinde ... Oder man solle ihn zumindest verheiraten, denn »alle unsere Kinder kommen mit seinen blauen Augen zur Welt«.
FRANCÉS DE ÁLAVA, Spaniens Gesandter in Frankreich an Philipp II., 1568
Juviles war das größte von etwa zwei Dutzend Dörfern, die über die südlichen Ausläufer der Sierra Nevada verstreut lagen. Nur ein Viertel des felsigen Gebietes wurde bewässert und mit Weizen und Gerste bebaut. Der größere Teil war mit Weinstöcken, Olivenhainen, Feigen-, Esskastanien-, Walnuss- und vor allem unzähligen Maulbeerbäumen für die Seidenraupenzucht bepflanzt. Auch wenn die Seide aus Juviles nicht ganz so geschätzt wurde wie die aus anderen Gegenden der Alpujarras, war sie doch die wichtigste Einnahmequelle der Region.
Die Morisken bewirtschafteten auch noch das steilste Stück Land bis zu den hohen Gipfeln. Jeder fruchtbare Winkel wurde durch eines der unzähligen Terrassenfelder nutzbar gemacht. Eines Tages, als die Sonne schon im Zenit stand, kehrte Hernando Ruiz von einem dieser Felder nach Juviles zurück. Der Junge war etwas über vierzehn Jahre alt, schlank und sehr flink. Er hatte dunkelbraunes Haar, und unter seinen buschigen Augenbrauen leuchteten große, auffallend blaue Augen.
Es war kalt, aber die Mittagssonne milderte die eisige Winterluft aus der Sierra Nevada. Hernando hatte gerade die letzten Früchte eines alten, knorrigen Olivenbaums geerntet, die beim Schütteln nicht herabgefallen waren. Er war zwischen den krumm gewachsenen Ästen hinaufgeklettert und hatte die noch unreifen Oliven von Hand gepflückt. Am liebsten wäre er dort geblieben, hätte Unkraut gejätet und wäre anschließend zu einem anderen Terrassenfeld gegangen, wo der alte Hamid vermutlich gerade seinen bescheidenen Landbesitz bearbeitete. Nur wenn die beiden allein waren, auf dem Feld arbeiteten oder in den Bergen Heilkräuter suchten, nannte Hernando ihn »Hamid« und nicht »Francisco« - denn das war sein christlicher Name, auf den er getauft worden war. Fast alle Morisken hatten zwei Namen: einen christlichen und einen muslimischen. Nur Hernando war einfach »Hernando« - im Dorf machte man sich deshalb oft über ihn lustig und verspottete ihn als den »Nazarener«.
Beim Gedanken daran verlangsamte der Junge seinen Schritt. Er war kein Nazarener! Er fegte mit dem Fuß einige Steine vom Weg und ging dann weiter in Richtung seines Zuhauses, das außerhalb des eigentlichen Dorfes lag. Dort hatte seine Familie genügend Platz gefunden, um eine zusätzliche Hütte zu bauen, die als Stall für die sechs Maultiere diente, mit denen sein Stiefvater durch die Alpujarras zog - sowie für das siebte, Hernandos Lieblingstier: die gute Alte.
Vor etwa einem Jahr hatte seine Mutter ihm den Grund für den verhassten Spitznamen erklärt. Er hatte seinem Stiefvater Ibrahim - »José« für die Christen - eines Morgens bei Sonnenaufgang geholfen, die Maultiere aufzuzäumen. Nach getaner Arbeit, als er sich mit einem sanften Klaps von der Alten verabschiedet hatte, warf ihn plötzlich eine heftige Ohrfeige zu Boden.
»Du Christenhund!«, schrie Ibrahim zornig. Der Junge schüttelte sich, um wieder zu sich zu kommen. Er glaubte hinter dem Stiefvater seine Mutter zu erkennen, wie sie mit gesenktem Haupt im Haus verschwand. »Du hast dem Tier den Sattelgurt falsch angelegt!«, brüllte Ibrahim. »Soll es sich unterwegs etwa wund reiben und dann nicht mehr arbeiten können? Du bist wirklich ein nutzloser Nazarener.« Ibrahim spuckte auf den Boden. »Du bist und bleibst ein Christenbastard. «
Hernando floh vor seinem Stiefvater und versteckte sich in einer Ecke des Stalls. Sobald das Hufklappern der Lasttierkolonne Ibrahims Aufbruch verkündete, erschien seine Mutter Aischa in der Hütte und brachte ihm einen Becher mit Limonade.
»Tut's noch weh?«, fragte sie, kniete vor ihm nieder und fuhr ihm zärtlich durchs Haar.
»Warum sagen alle ›Nazarener‹ zu mir?«, schluchzte Hernando. Aischa schloss angesichts der Tränen ihres Sohns kurz die Augen und versuchte dann liebevoll, sein Gesicht zu trocknen. Hernando sah sie an. »Warum?«
»Einverstanden, du bist jetzt alt genug.« Aischa nickte kurz, setzte sich neben ihn auf den Boden und holte tief Luft. »Weißt du, vor etwas mehr als vierzehn Jahren hat sich der Pfarrer meines Heimatdorfes in Almería an mir vergangen ...« Hernando sprang auf und starrte sie entsetzt an. »Ja, mein Junge. Ich schrie und wehrte mich, so wie es unsere Gesetze vorschreiben. Aber der Priester war so kräftig. Er hat mich weit außerhalb des Dorfes angesprochen, mitten auf dem Feld, am späten Vormittag. Es war ein sonniger Tag ...«, erinnerte sie sich. »Dann ...«, ihre Miene verfinsterte sich. »Ich war doch vollkommen hilflos!«, brach es aus ihr heraus. »Er hat meine Kleider mit einer einzigen Handbewegung zerrissen. Dann hat er mich auf den Boden gedrückt und ...«
Aischa kehrte schwer atmend in die Gegenwart zurück und begegnete dem Blick ihres Sohnes.
»Du bist das Ergebnis dieser Schändung«, flüsterte sie. »Sie nennen dich den Nazarener, weil dein Vater ein christlicher Prediger ist. Es ist alles meine Schuld ...« Hernando brach erneut in Tränen aus. Auch Aischa kämpfte gegen den Strom der eigenen Tränen. Der Becher mit Limonade glitt ihr aus der Hand, als sie ihrem Sohn in die Arme fiel.
Die junge Aischa hatte mit den Hilfeschreien damals zwar ihre Ehre gerettet, aber als ihre Schwangerschaft offensichtlich wurde, suchte ihr Vater, ein einfacher Maultiertreiber, nach einem Weg, die Schande nicht fortwährend ansehen zu müssen. Die Lösung fand er in Ibrahim, einem jungen, gut aussehenden Maultiertreiber aus Juviles, dem er unterwegs des Öfteren begegnet war. Er bot ihm die Hand seiner Tochter und zwei Mulis als Mitgift an: ein Tier für das Mädchen und das andere für das ungeborene Kind. Ibrahim zögerte, aber er war jung, arm und konnte die Tiere gut brauchen. Außerdem, wer sagte denn, dass dieses Wesen jemals das Licht der Welt erblicken würde? Oder vielleicht würde es nicht einmal die ersten Monate überstehen ... In dieser Gegend starben viele Kinder kurz nach der Geburt.
Ibrahim widerte die Vorstellung zwar an, dass ein Priester Aischa geschändet hatte, aber er ließ sich auf den Handel ein und nahm sie mit zu sich nach Juviles.
Doch Hernando kam als kräftiger Säugling zur Welt, noch dazu mit den blauen Augen des Priesters. Die Umstände seiner Zeugung kamen schnell ans Licht, und die Dorfbewohner hatten zwar Mitleid mit der jungen Frau, nicht aber mit dem Kind. Ihre Verachtung wurde noch größer, als sie merkten, wie sehr sich Don Martín und Andrés um den Jungen bemühten - so als wollten sie den Bastard des Priesters vor Mohammeds Anhängern retten.
Als Hernando seiner Mutter später die frisch geernteten Oliven gab, konnte sein Lächeln Aischa nicht täuschen. Sie fuhr ihm zärtlich durchs Haar, wie immer, wenn sie ihn traurig erlebte, und er ließ es trotz der anwesenden vier Stiefgeschwister zu. Seine Mutter konnte ihm nur äußerst selten ihre Liebe zeigen - nur dann, wenn sein Stiefvater nicht da war. Ibrahims Hass gegen den Nazarener mit den blauen Augen, den Lieblingsschüler der christlichen Geistlichen, war mit der Geburt seiner eigenen vier Kinder nur noch größer geworden. Mit neun Jahren wurde Hernando in den Stall verbannt und durfte nur noch dann im Wohnhaus essen, wenn sein Stiefvater unterwegs war. An diesem Tag stand das Essen bereits auf dem Tisch, und Hernandos vier Stiefgeschwister warteten auf ihn. Selbst der Jüngste, der vierjährige Musa, zog in seiner Anwesenheit ein mürrisches Gesicht.
»Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes«, sagte Hernando, ehe er sich auf den Boden setzte.
Der kleine Musa und sein siebenjähriger Bruder Aquil taten es ihm gleich und griffen mit den Fingern nach dem Essen: Lamm und Artischocken, mit Minze, Koriander und Safran in Essig und Öl gekocht. Raissa und Zahara, seine beiden Stiefschwestern, warteten darauf, dass die männlichen Familienmitglieder mit dem Essen fertig waren, damit sie selbst beginnen konnten.
Nach dem Lammgericht brachte die elfjährige Zahara noch ein Tablett mit Rosinen, aber Hernando blieb keine Zeit: Er hörte ein dumpfes Klappern in der Ferne und hob den Kopf. Seine Stiefbrüder bemerkten seine Unruhe und hörten auf zu essen. Keiner konnte die Ankunft der Maultiere so früh hören wie Hernando.
»Die Alte kommt!«, rief der kleine Musa.
Ibrahim kehrte nach Hause zurück.
»Lob sei Gott«, beendete Hernando die Mahlzeit und stand schnell auf.
Draußen wartete die ausgezehrte Alte geduldig auf ihn, sie trug kein Zaumzeug und war mit Sattelwunden übersät.
»Komm, Alte«, sagte Hernando und führte sie in den Stall.
Das ungleichmäßige Klappern der Hufe begleitete sie. Im Stall legte er ihr etwas Stroh hin und strich ihr über den Hals.
»Wie war die Reise?«, flüsterte er und untersuchte eine Wunde, die sie vorher noch nicht gehabt hatte.
Er sah ihr kurz beim Fressen zu, dann lief er schnell los - den Berghang hinauf. Sein Stiefvater erwartete ihn bestimmt schon im Versteck etwas abseits des Weges nach Ugíjar. Hernando lief einige Zeit querfeldein und achtete darauf, keinem Altchristen zu begegnen. Er umging die eingesäten Terrassenfelder und alle anderen Stellen, an denen zu dieser Tageszeit womöglich noch gearbeitet wurde. Ein wenig außer Atem gelangte er an eine nur schwer zugängliche Stelle, von der aus man auf die steile Felswand blicken konnte, wo Ibrahim bereits auf einem Vorsprung auf ihn wartete. Hinter dem Morisken standen die sechs schwer beladenen Maultiere, und im Fels konnte man viele Öffnungen erkennen, die in kleine Höhlen führten.
Ibrahim war ein großer, kräftiger Mann mit Vollbart. Er trug einen grünen Hut mit breiter Krempe und einen halblangen blauen Umhang, unter dem ein kurzer plissierter Rock hervorragte, der die Oberschenkel vor der Kälte schützte. Die Unterschenkel waren nackt, und an den Füßen trug er Lederschuhe mit Riemen. Zum Jahreswechsel würden die neuen Gesetze in Kraft treten. Dann musste Ibrahim wie alle Morisken im Königreich Granada seine Volkstracht gegen die übliche Kleidung der Christen eintauschen. Im Gürtel glänzte - obwohl dies schon jetzt verboten war - ein Krummdolch.
Als er seinen Stiefvater in der Ferne erblickte, verlangsamte Hernando seinen Schritt. Die Furcht, die ihn in dessen Nähe immer überkam, bedrückte ihn. Wie würde er ihn diesmal empfangen? Beim letzten Mal hatte er ihm eine Ohrfeige verpasst, weil er sich angeblich verspätet hatte, dabei war er ohne Umwege zu ihrem Treffpunkt gerannt. Auf den letzten Schritten zu Ibrahim beeilte er sich wieder.
»Warum kommst du so spät?«, fuhr ihn sein Stiefvater an.
Als Hernando sich an seinem Stiefvater vorbeizwängte, ging er in Deckung. Dennoch traf ihn ein heftiger Schlag am Kopf. Er stolperte auf das erste Maultier zu und schlüpfte dann geschickt an den übrigen Tieren vorbei in eine der Felshöhlen hinein. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, begann er die Waren, die sein Stiefvater von den Tieren ablud, in das sichere Versteck zu bringen.
»Das Öl hier ist für Juan«, sagte Ibrahim und reichte ihm einen bauchigen Tonkrug. Angesichts des fragenden Blicks seines Stiefsohns fügte er noch den muslimischen Namen hinzu: »Ich meine Aisar. Und der hier ist für Faris.« Hernando verstaute die Waren in der Höhle und versuchte sich die Namen der jeweiligen Besitzer zu merken. Als die Maultiere von der Hälfte ihrer Last befreit waren, brach Ibrahim nach Juviles auf. Hernando blieb am Höhleneingang zurück und ließ seinen Blick über die weite Landschaft bis zur Sierra Contraviesa schweifen. Aber er hielt sich nicht lange damit auf, da er diesen Ausblick in- und auswendig kannte. Er ging in die Höhle und betrachtete neugierig die Gegenstände, die sie soeben abgeladen hatten, und die vielen anderen, die dort bereits seit Längerem lagerten. Hunderte ähnliche Höhlen dienten den Morisken in den Alpujarras inzwischen als Versteck für ihren Besitz. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit würden die Männer kommen und die Dinge mitnehmen, die sie brauchten. Jeder Transport lief gleich ab. Von wo auch immer der Stiefvater aufgebrochen war, bevor er Juviles erreichte, band er die Alte los und schickte sie nach Hause. »Sie kennt die Alpujarras besser als jeder von uns. Ich habe mein ganzes Leben auf diesen Wegen verbracht, und trotzdem hat mir das Maultier schon einige Male das Leben gerettet «, erzählte der Treiber immer wieder. Wenn Ibrahim sie losließ, trottete die Alte allein nach Hause, und Hernando lief sofort zu den Höhlen, um seinen Stiefvater zu treffen. Dort luden sie die Hälfte der Handelswaren ab, um so die hohen Steuern zu halbieren, die sein Stiefvater zu entrichten hatte. Die vielen Pachtherren, die den Zehnt oder die Erstlingsabgabe erhielten, und die zahllosen Büttel, die die Geldstrafen einzogen, hatten es sich angewöhnt, in die Häuser der Morisken einzudringen und alles mitzunehmen oder zu pfänden, was ihnen in die Hände fiel, selbst wenn der Wert der Gegenstände die eigentlichen Schulden überstieg. Später notierten sie nicht einmal den Erlös aus der Versteigerung, und die Morisken verloren auf diese Weise langsam, aber sicher ihren Besitz. Sie hatten bereits viele Klagen beim Richter von Ugíjar, beim Bischof und sogar beim Corregidor von Granada, dem Vertreter der Krone, vorgebracht, aber sie stießen nur auf taube Ohren, und die christlichen Steuereintreiber beuteten sie weiterhin ungestraft aus. Deshalb taten es alle Ibrahim gleich.
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010 beim C. Bertelsmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Ildefonso Falcones
Ildefonso Falcones de Sierra, verheiratet und Vater von vier Kindern, arbeitet als Anwalt in Barcelona. Sein Debütroman "Die Kathedrale des Meeres" war ein überwältigender internationaler Erfolg. Mit weltweit mehr als fünf Millionen verkauften Büchern hat sich Falcones als der bestverkaufte spanische Autor historischer Romane verewigt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ildefonso Falcones
- 2012, 926 Seiten, Masse: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Stefanie Karg
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442477751
- ISBN-13: 9783442477753
- Erscheinungsdatum: 14.08.2012
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