Herzlichen Glückwunsch, Sie haben gewonnen!
Roman. Originalausgabe
Eine dubiose Verkaufsfahrt. Ein Toter auf der Wiese. Papa Heinz und Walter in Bestform. Und Dora Heldt wieder einmal zum Brüllen komisch!
Ausgerechnet Walter (69) gehört zu dem kleinen Kreis wohlhabender Senioren, die eine...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Herzlichen Glückwunsch, Sie haben gewonnen! “
Eine dubiose Verkaufsfahrt. Ein Toter auf der Wiese. Papa Heinz und Walter in Bestform. Und Dora Heldt wieder einmal zum Brüllen komisch!
Ausgerechnet Walter (69) gehört zu dem kleinen Kreis wohlhabender Senioren, die eine exklusive Reise an die Schlei gewinnen können. Das wurmt Papa Heinz (75) ganz gewaltig. Doch dann ermöglicht Walter mit einer kleinen Trickserei auch Heinz die Mitfahrt und die beiden machen sich mit schickem Anzug und großen Erwartungen auf den Weg. Zu ihrer Enttäuschung wirken die meisten Mitreisenden längst nicht so vermögend. Und als sie statt eines Drei-Gänge-Menüs nur Würstchen auf Papptellern erhalten, geht ihnen auf, dass sie "exklusiv" mit "all inclusive" verwechselt haben.
Klappentext zu „Herzlichen Glückwunsch, Sie haben gewonnen! “
»Ich bin genauso gut situiert wie du!« Dass ausgerechnet Walter (69) zu dem kleinen Kreis wohlhabender Senioren gehören soll, die eine exklusive Reise an die Schlei gewinnen können, wurmt Papa Heinz (75) gewaltig. Als sein Schwager mit einer kleinen Trickserei auch Heinz die Mitfahrt ermöglicht, ist der wieder versöhnt. Mit schickem Anzug und grossen Erwartungen machen sich die beiden auf den Weg. Zu ihrer Enttäuschung wirken die meisten Mitreisenden längst nicht so vermögend, wirklich elegant ist eigentlich nur Finchen (75), die von ihrer Grossnichte, der Radiojournalistin Johanna (40) begleitet wird. Als sie statt einem Drei-Gänge-Menü nur Würstchen auf Pappteller erhalten und Walter sein Bier auch noch selbst bezahlen muss, geht ihnen auf, dass sie »exklusiv« mit »all inclusive« verwechselt haben ...
Lese-Probe zu „Herzlichen Glückwunsch, Sie haben gewonnen! “
Herzlichen Glückwunsch, Sie haben gewonnen! von Dora HeldtLottes Cremeschnittchenfabrik, einen schönen guten Tag.« Der Anrufer schnappte kurz nach Luft, dann sagte er: »Heinz? Was soll der Blödsinn? Hier ist Walter.«
»Ich weiß.« Heinz nickte, obwohl sein Schwager es am anderen Ende nicht sehen konnte. »Dein Name steht ja im Display.«
»Ja, dann melde dich doch vernünftig und lass diesen pubertären Quatsch.«
»Ich brauche mich eigentlich gar nicht zu melden. Ich sehe, wer anruft, und du weißt, welche Nummer du gewählt hast. Also.« Heinz kratzte sich am Rücken. »Oder hast du schon vergessen, mit wem du sprechen wolltest?«
»Natürlich nicht.« Walter machte eine kurze Pause. »Wie um alles in der Welt kommst du auf Cremeschnittchenfabrik? «
»Die gibt es heute zum Kaffee. So kleine Dinger mit Creme in der Mitte. Hat Charlotte gebacken. Es gibt genug, ihr könnt auch kommen.«
»Inge ist in der Sauna. Und ich ...«
Während Walter noch überlegte, ging Heinz mit dem Telefon am Ohr langsam in Richtung Küche. Da standen die beiden Platten mit den Cremeschnittchen. Sahen hervorragend aus. Walter würde es sich kaum entgehen lassen.
»... ich könnte mich eigentlich aufs Rad setzen und vorbeikommen. «
Heinz nickte. Walter kam immer, wenn es Kuchen gab. Dabei war sein Cholesterinspiegel viel zu hoch, das schob Walter aber auf die Gene.
... mehr
Heinz war cholesterinmäßig topfit, er hatte sogar hervorragende Werte für sein Alter. Er war sich sicher, dass Walter das fuchste. Sechs Jahre jünger, aber schlechtere Werte. Nur vom undisziplinierten Essen. Und dabei wurde Walter erst in einem Jahr siebzig. Heinz hatte inzwischen durch das Küchenfenster den Nachbarn beobachtet, der sich mühte, den Rasenmäher auf den Friesenwall zu bugsieren, deshalb bekam er den Anfang von Walters Satz nicht mit. Nur das Ende: »... auch bekommen?«
»Was bekommen? Thomsen hat übrigens einen neuen Rasenmäher. Viel zu groß. Typisch für diesen Angeber. Und jetzt bekommt er ihn nicht den Wall hoch.«
»Diese Fahrt an die Schlei. Bist du da auch ausgewählt?«
»Wie? Schlei? Was für eine Fahrt?«
»Du hast mir nicht zugehört.« Walters Stimme klang unwirsch. »Ich erzähle dir etwas Bahnbrechendes und du interessierst dich nur für Thomsens Rasenmäher.«
Heinz seufzte. Wenn Walter sich nicht ernst genommen fühlte, war er sofort beleidigt. Das war eben seine Finanzbeamtenmentalität, sagte zumindest Charlotte.
Seit Walter mit Inge vor drei Jahren wieder nach Sylt gezogen war, sahen sie sich alle natürlich öfter als früher, deshalb fielen ihnen ihre jeweiligen Macken leider auch so auf. Wobei es nicht sehr viele waren, Heinz fand sich und Walter durchaus umgänglich. Nur manchmal war Walter anstrengend. Da hatte Charlotte ganz recht. Er müsste ihr noch schnell sagen, dass Walter gleich zum Kaffee kommen würde. In versöhnlichem Ton fuhr er fort: »Nun sei nicht so, Walter. Erzähl, was ist mit der Schlei?«
»Ich war da mal als Kind. Kurz nach dem Krieg. Dahin wurden blasse, dünne Stadtkinder geschickt, um aufgepäppelt zu werden. Es war sehr schön da. Ich habe zufällig in der letzten Zeit öfter daran gedacht.«
»Willst du wieder aufgepäppelt werden?« Heinz wusste nicht, worüber Walter redete. »Dann komm doch her. Cremeschnittchen päppeln.«
Walter blieb ernst. »Du verstehst mich nicht. Du bist so unkonzentriert am Telefon, man kann mit dir nicht über wichtige Dinge sprechen. Ich komme jetzt zu euch und zeig dir was. Du wirst dich wundern. Bis gleich.«
Umständlich schloss Walter sein Fahrrad an die Gartenlaterne. Heinz sah ihm kopfschüttelnd dabei zu. »Als ob das Rad aus dem Garten geklaut würde. Stell es doch einfach an die Hauswand.«
»Und dann ist es weg.« Mit zusammengekniffenen Augen gab Walter die Zahlen im Schloss ein. »Die Versicherung zahlt nicht und ich habe dann den Salat. Nein, nein.« Ächzend kam er aus seiner gebückten Stellung wieder hoch. »Das ist ein teures Rad gewesen. Und man weiß doch nicht, wer bei euch so durch den Garten marschiert.«
»Ausschließlich Schlepperbanden.« Heinz sah zu, wie sein Schwager die Fahrradtasche abschnallte und sie sich unter den Arm klemmte. »Spezialisiert auf Fahrräder und Zigaretten. Aber geraucht wird ja hier nicht. Was hast du denn da alles mit?«
»Unterlagen. Ist Charlotte nicht da?«
»Äh, nein, leider.« Heinz zupfte einen unsichtbaren Fussel von seinem Ärmel. »Die Cremeschnittchen waren für den Basar vom Roten Kreuz. Charlotte bringt sie gerade hin. Wir haben aber noch eine Packung Kekse.«
»Ach so.« Ein Anflug von Enttäuschung huschte über Walters Gesicht. »Ist aber egal. Ich wäre sowieso vorbeigekommen. Hast du deine Lesebrille parat?«
Am Tisch auf der Terrasse glättete Walter einen Briefbogen und schob ihn seinem Schwager zu. »Guck dir das mal an.«
Heinz putzte mit langsamen Bewegungen seine Brille, setzte sie auf und betrachtete das Blatt. Er wendete es, legte es wieder auf den Tisch und begann, halblaut vorzulesen.
Herzlichen Glückwunsch, Sie haben gewonnen!
Sehr geehrter Herr Walter Müller,
Sie haben allen Grund, sich zu freuen, denn Sie gehören zu einem kleinen auserwählten Kreis, dem wir, die Firma »Ostseeglück«, ein Angebot machen, das Sie kaum ausschlagen können. In Zeiten der Unsicherheiten auf den Finanzmärkten, der unkalkulierbaren Risiken der Aktienmärkte und der nicht abreißenden Katastrophenmeldungen aus aller Welt fragen sich gerade die wohlsituierten Senioren: »Was passiert mit meinem Geld?« Jahrzehntelang schaffen wir Rücklagen, die uns einen sorgenfreien Lebensabend ermöglichen sollen. Doch hat man wirklich alles richtig gemacht? Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, diese Fragen für Sie zu beantworten. Unsere Klientel besteht ausschließlich aus gutsituierten Senioren, die auch gern unter sich bleiben wollen. In einer der malerischsten Gegenden Norddeutschlands zeigen wir Ihnen Kapitalanlagen mit hoher Renditemöglichkeit, die Sie begeistern werden. Zusammen mit Gleichgesinnten verbringen Sie ein zauberhaftes Wochenende am Ostseefjord, wo unsere Reiseleitung kaum einen Ihrer Wünsche unerfüllt lässt. Da dieses exklusive Angebot natürlich nur einem kleinen, ausgesuchten Kreis offeriert werden kann, füllen Sie doch bitte sofort das beiliegende Formular aus. Sie können eine Begleitperson Ihrer Wahl mitnehmen, geben Sie auch deren Daten an. Aus den eingehenden Zuschriften wählen wir dann die Personen aus, die an diesem exklusiven Wochenende teilnehmen werden.
Die Firma »Ostseeglück« wünscht Ihnen viel Erfolg! Es verbleibt mit herzlichen Grüßen aus dem herrlichen Feriengebiet der Schlei
Ihr Dr. Theo von Alsterstätten Geschäftsführer
Langsam nahm Heinz seine Brille ab und schob den Brief zurück zu Walter. »Wie sind die denn auf dich gekommen?«
»Ich passe doch genau in ihr Profil.« Walter beugte sich vor und tippte mit dem Zeigefinger auf den Brief. »Gutsituierte Senioren, die unter sich bleiben wollen. Hier steht es doch.«
»Ich bin genauso wohlsituiert.« Mit beleidigtem Gesicht riss Heinz die Kekspackung auf und fummelte ein Waffelröllchen aus dem Zellophan. »Als ob du mehr Pension kriegen würdest. Woher haben die denn deine Adresse?«
»Vermutlich von der Sparkasse.« Walter hielt die Hand auf, in die Heinz den Keks legte. »Da war doch vor ein paar Wochen eine Veranstaltung über Renten und Altersvorsorge. Es gab auch belegte Brötchen und Kaffee und Tee und Saft. Ich habe da kurz vorbeigeschaut.«
Sein Schwager war verwundert. »Das war doch nicht für Rentner. Wir haben doch schon alles.«
»Ich weiß.« Walter wischte sich die Schokoladenflecken mit einem Stofftaschentuch von der Hand. »Ich wollte Kontoauszüge holen und dabei sah ich die Brötchen im Nebenraum. Ich hatte so einen Hunger. Und außerdem bin ich Kunde. Aber damit keiner was sagt, habe ich dann eine Broschüre mitgenommen und einen Fragebogen ausgefüllt. Informationen über Renditen haben mich immer interessiert. Obwohl man einem ehemaligen Finanzbeamten natürlich nichts Neues erzählen kann. Ich kenne mich ja aus.«
»Ich bin auch Sparkassenkunde.« Heinz war immer noch beleidigt. »Ich finde es unmöglich, dass du eine Einladung bekommst und ich nicht. Was war das denn für ein Fragebogen, den du da ausgefüllt hast?«
»Das ist doch egal«, winkte Walter ab. »Irgendeine Werbung. Aber darum geht es jetzt nicht. Eine Einladung reicht nämlich. Pass auf: Ich trage dich hier unten als meine Begleitperson ein, siehst du? Hier unten: Heinz Schmidt. So. Und dann habe ich gesehen, dass die Anrede eine andere Schrift hat als der übrige Brief. Das haben die einfach hineinkopiert. Das geht mit Tipp-Ex weg, habe ich schon an einer Stelle probiert. Wir radieren Walter Müller weg, machen eine Kopie, schreiben einfach deinen Namen hin, du trägst mich als Begleitperson ein und schon haben wir eine höhere Gewinnchance. Wie findest du das?«
»Ich weiß nicht.« Walters Begeisterung prallte an Heinz ab. »Ist das nicht Urkundenfälschung?«
»Urkundenfälschung«, schnaubte Walter. »Das ist doch keine Urkunde, das ist eine Einladung. Und du hast doch selbst gesagt, dass du nicht verstehst, warum du nicht eingeladen bist. Wir machen da nur eine kleine Korrektur.
Und dann fahren wir umsonst an die Schlei. Ich wollte da immer schon mal wieder hin. Das waren damals meine schönsten Ferien. Ich war jeden Tag schwimmen. Und es gab Streuselkuchen. Und schönes Wetter. Das wird ein Superwochenende.«
»Ich weiß nicht.«
»Heinz.« Walter war aufgestanden und starrte seinen Schwager wütend an. »Ich gebe mir hier alle Mühe, uns ein exklusives Wochenende zu verschaffen, für das wir keinen Cent bezahlen müssen, und du maulst rum. Wenn du so weitermachst, dann trage ich gleich Inge ein und ihr kommt nicht mit. Aber dann beschwer dich nicht.«
»Ach, du willst, dass wir alle zusammen fahren?« Heinz nahm den Tipp-Ex-Stift und radierte damit vorsichtig auf dem Briefbogen herum.
»Ja, natürlich«, antwortete Walter. »Aber überleg mal, was das kostet. Und so ist alles umsonst. Wir investieren nur eine Fotokopie.«
Heinz? Hier ist Post für dich. Von einem Reiseveranstalter. « Mit fragendem Blick reichte Charlotte drei Tage später Heinz einen Umschlag. »Hast du was gebucht?«
»Gebucht?« Heinz hob nur kurz seine Augen von der Zeitung. »Nein. Was soll ich denn buchen? Der HSV hat schon wieder verloren.« Er las weiter, bis er plötzlich hochfuhr. »Ach, das. Das war ein Preisausschreiben. Da haben wir mitgemacht, also Walter und ich. Das ging ja schnell mit der Antwort.«
Er riss den Umschlag auf und überflog das Schreiben.
»Charlotte, ich habe gewonnen. Das gibt's ja nicht.« Er blickte seine Frau strahlend an. »Wir fahren an die Schlei. Drei Nächte im Hotel, Anreise mit dem Bus, exklusiver Rahmen und ohne einen Cent Zuzahlung. Das ist ja toll. Wie findest du das?«
»Lass mal sehen.« Sie nahm ihm das Schreiben aus der Hand. Ihre Lippen bewegten sich beim Lesen, dann schüttelte sie den Kopf und sah ihren Mann zweifelnd an. »Mit dem Bus ab Bremen? Und Walter begleitet dich? Worauf habt ihr euch denn da eingelassen? Was heißt denn ›Kapitalanlagen‹? Das klingt aber nicht seriös.«
»Das ist eine Art Informationsreise.« Heinz stand schon und ging zum Telefon. »Ich muss Walter anrufen. Vielleicht hat er auch schon was gehört. Wir erklären euch alles in Ruhe. Ich habe gewonnen, das ist toll.«
Bevor er das Telefon erreicht hatte, klingelte es schon. Als er abhob, hörte er Walters Stimme. »Heinz, rate mal, was ich heute in der Post hatte ...«
»Das ist doch wirklich eine Schnapsidee.« Inge schob den Brief in den Umschlag zurück und sah Charlotte hilfesuchend an. »Wie findest du das denn?«
Sie saßen zu viert in der »Strandhalle«, Inges Lieblingsrestaurant, in das Walter eingeladen hatte. Morgens hatte er noch gedacht, dass sie hier die gewonnene Reise feiern würden, jetzt sah das Ganze etwas anders aus.
Walter hatte es kaum fassen können, dass sie beide gewonnen hatten, und sofort bei der Firma »Ostseeglück« angerufen und den Geschäftsführer verlangt. Dr. Theo von Alsterstätten hatte schließlich den Brief unterschrieben. Lang und breit hatte Walter ihm am Telefon erklärt, dass es natürlich scherzhaft gemeint war, als er seinen Schwager und sein Schwager ihn als Begleitperson eingesetzt hätte. Selbstverständlich sollten die Ehefrauen mitfahren, das ließe sich doch bestimmt noch ändern.
»Nein«, hatte Dr. von Alsterstätten geantwortet. Das gehe natürlich nicht, da die Gewinner unter notarieller Aufsicht gezogen worden seien und es deshalb keine Änderungen mehr geben könne. »Wissen Sie, Herr Müller, dieser Kreis ist so exklusiv, dass wir da überhaupt keinen Spielraum haben. Und da Ihre Einladung auch für Ihren Schwager gilt, kann nur einer von Ihnen gewinnen. Dafür ist dann ein anderer Herr nachgerückt. Unsere Veranstaltungen sind sehr begehrt, das können Sie sich ja denken. Exklusivität ist das Stichwort.«
Walter hatte sich Dr. Theo von Alsterstätten wesentlich gesetzter vorgestellt, aber vielleicht hatte er auch einfach nur eine jugendliche Stimme. Und nachdem er ihm auch noch versichert hatte, dass er, Walter, als Gewinner und Heinz als Begleitperson eingetragen war, gab er sich zufrieden.
Walter und Heinz hatten sich kurz beraten und dann einhellig beschlossen, dass man diesen Gewinn nicht verfallen lassen dürfe. Ausgewählt war ausgewählt, und wenn man schon zu einem exklusiven Kreis gehörte, dann sollte man das annehmen. Allerdings hätten sie sich gewünscht, dass ihre Angetrauten etwas begeisterter reagiert hätten. Das war trotz des guten Essens leider nicht der Fall.
Stattdessen stimmte Charlotte ihrer Schwägerin zu. »Ostseefjord. Was wollt ihr da? Heinz, du machst doch immer einen mittleren Aufstand, wenn du Sylt mal verlassen sollst, und jetzt willst du mit Walter im Bus an die Schlei? Ihr beide zusammen?«
»Warum nicht?« Heinz bemühte sich um ein freundliches Gesicht. »Es ist ein Herzenswunsch von Walter. Noch einmal die Schlei sehen.«
»Heinz.« Seine Schwester Inge hob die Augenbrauen. »Du tust so, als hätte Walter nur noch zwei Wochen zu leben. Und von wegen Herzenswunsch. Ich habe in den letzten vierzig Jahren noch nie gehört, dass er mal von der Schlei geredet hat. Walter, sag was.«
Walter verschränkte seine Finger auf dem Tisch. Verträumt sah er in die Runde. »Es waren meine schönsten Ferien. Ich sehe die Landschaft noch vor mir, pure Idylle, viel Wasser, viel Raps und ich als achtjähriger Steppke mittendrin. Ein Traum.«
»Es ist sechzig Jahre her«, warf Charlotte ein. »Da bin ich ja gespannt, was du alles wiedererkennst. Wie auch immer, habt ihr euch denn mal erkundigt, was das für ein Veranstalter ist? Ich finde ja, dass diese ganze Sache ein bisschen komisch klingt. Exklusiv. Das kann doch alles heißen. Und dann gewinnt ihr auch noch beide. Findet ihr das nicht seltsam?«
»Ich weiß wirklich nicht, warum ihr so negativ seid.« Walter stieß Heinz unter dem Tisch an. »Diese Firma ist wirklich in Ordnung, das habe ich natürlich recherchiert. Die Klientel besteht aus gutsituierten Senioren, die an Wirtschaftsfragen interessiert sind. In diese Gruppe fallen Heinz und ich eben genau rein. Und deshalb haben die uns beide ausgesucht. Wahrscheinlich gibt es den einen oder anderen Vortrag über Finanzen und Politik. Das ist ja auch nicht so spannend für euch. Ich finde das alles interessant und wir bezahlen nichts dafür. Ihr könntet euch auch einfach mitfreuen.«
»Genau.« Heinz hatte den Tritt richtig verstanden. »Immerhin sind wir ausgewählt. Da kommt nicht jeder Hinz und Kunz mit, da muss man schon besondere Fähigkeiten und Voraussetzungen haben. Und außerdem muss man auch ab und zu mal über den Tellerrand gucken. Sonst rostet man ein.«
»Ach ja?« Zum Glück kam in diesem Moment die Bedienung mit dem gebratenen Dorsch, so dass Charlottes Kommentar unterbrochen wurde. Heinz und Walter wollten ihn eigentlich auch gar nicht hören.
»Ich sage es dir, Charlotte«, Inge setzte den Blinker und fuhr zügig vom Parkplatz, »ich fahre nicht Hals über Kopf an die Schlei, um den beiden aus irgendwelchen Schwierigkeiten zu helfen.«
Walter und Heinz hatten sich entschlossen, den Heimweg zu Fuß anzutreten, sie hätten viel zu viel gegessen und könnten in diesem pappsatten Zustand sowieso nicht ins Bett gehen. »Fahrt ihr mal mit dem Wagen, wir laufen zurück. Wir müssen auch noch ein paar Reisedetails besprechen. Bis später.«
Als Inge sie überholte, winkten beide ihnen synchron nach.
»Ausgewählt.« Charlotte schnalzte mit der Zunge. »Exklusiver Kreis. Das wird ja was sein. Inge, ich sage dir, die kommen mit Schnellkochtöpfen und Salatschleudern zurück. Das rieche ich doch.«
»Ein bisschen seltsam finde ich das auch alles.« Mit einer schnellen Bewegung stellte Inge den Rückspiegel ein. »Was soll das denn mit den Renditen? Und der Finanzkrise? Na ja, aber da werden sie sich an Walter die Zähne ausbeißen. Ich befürchte nur, dass sie die beiden auf halber Strecke an die Luft setzen, weil Walter sich bei den Vorträgen einmischt und immer alles besser weiß. Ich sehe uns schon mit dem ersten Autozug aufs Festland fahren, weil wir unsere Männer aus irgendeinem abgelegenen Waldstück bei Schleswig abholen müssen. Die sollen sich bloß warme Jacken einpacken, wer weiß, wie lange sie da stehen werden.«
Charlotte seufzte und sah ihre Schwägerin an. »Ich dachte, die beiden sind langsam zu alt für solche Unternehmungen. Aber das war ja wohl ein Irrtum. Ich hoffe nur, dass es keine zu große Katastrophe gibt.«
Johanna sah ihre Tante sofort, als sie das Restaurant betrat. Sie saß an einem Tisch am Fenster, ein Glas Sekt vor sich, und war in die Speisekarte vertieft.
»Hallo, Tante Finchen.«
Mit strahlendem Lächeln hob die den Kopf. »Johanna, wie schön, dass es geklappt hat. Setz dich, Kind, du siehst abgespannt aus. Und dünn bist du geworden. Isst du nichts mehr?«
Johanna küsste sie auf die Wange und ließ sich langsam auf den Stuhl sinken. Finchen trug eine knallbunte Tunika über einer weißen Hose, ihre roten Haare standen in alle Richtungen ab. Bei jeder Bewegung klimperten mindestens zehn Armreifen. Auffällig wäre noch geschmeichelt. Keinesfalls wirkte sie so, wie man sich eine alleinstehende 75-Jährige vorstellt.
Jetzt beugte sie sich weit über den Tisch und drückte Johannas Hand.
»Das kriegen wir schon hin. Möchtest du vor dem Essen auch ein Glas Sekt?«
Abwehrend hob Johanna die Hände. »Um Himmels willen, es ist noch nicht mal ein Uhr. Und ich habe noch Sendung. Daniel ist im Urlaub, und ich muss heute auch moderieren. «
»Ach komm. Nach einem Glas lallst du noch nicht. Das kriegen die Hörer gar nicht mit. Und außerdem haben wir etwas zu feiern.«
Sie drehte sich nach dem Kellner um und gestikulierte wild mit den Händen, während Johanna sie beobachtete.
Finchen hieß eigentlich Josefine Jäger und war die ältere Schwester von Johannas Vater. Der große Name Josefine passte nicht so recht zu der kleinen, zierlichen Person, die Johanna gerade mal bis zum Kinn ging, deshalb hatte sich die kurze Version durchgesetzt. Allerdings nur in der Familie, ansonsten bestand Finchen auf der Langform.
Sie hatte in den sechziger Jahren geerbt, genau wie Johannas Vater. Ihren Eltern hatten eine Druckerei in Hamburg und zwei Mehrfamilienhäuser gehört. Beide waren früh bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Johannas Vater übernahm später die Druckerei, Finchen bekam die Häuser und absolvierte eine Ausbildung zur Schauspielerin. Geld verdienen musste sie nicht, sie hatte eins der Häuser verkauft und mit dem Erlös das andere ausgebaut und erfolgreich vermietet. Schauspielerin aber war sie mit ganzer Leidenschaft gewesen. Auch wenn die großen Rollen ausblieben, wurde sie immer wieder für Nebenrollen in Fernsehserien gebucht. In den letzten Jahren war es ruhiger geworden, was Finchen nicht schlecht fand. Sie hatte genug zu tun, ging ins Kino und ins Theater, besuchte ihre verstreut lebenden Freundinnen und Familienmitglieder und war ständig auf der Suche nach Abwechslung.
»Hallo, junger Mann, bringen Sie meiner Nichte bitte mal eine Speisekarte und ein Glas Sekt?« Johanna war immer wieder überrascht, wie weit die Stimme einer so kleinen Person tragen konnte. Der Kellner war zusammengezuckt, die anderen Gäste sahen zu ihnen herüber.
© 2013 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
Heinz war cholesterinmäßig topfit, er hatte sogar hervorragende Werte für sein Alter. Er war sich sicher, dass Walter das fuchste. Sechs Jahre jünger, aber schlechtere Werte. Nur vom undisziplinierten Essen. Und dabei wurde Walter erst in einem Jahr siebzig. Heinz hatte inzwischen durch das Küchenfenster den Nachbarn beobachtet, der sich mühte, den Rasenmäher auf den Friesenwall zu bugsieren, deshalb bekam er den Anfang von Walters Satz nicht mit. Nur das Ende: »... auch bekommen?«
»Was bekommen? Thomsen hat übrigens einen neuen Rasenmäher. Viel zu groß. Typisch für diesen Angeber. Und jetzt bekommt er ihn nicht den Wall hoch.«
»Diese Fahrt an die Schlei. Bist du da auch ausgewählt?«
»Wie? Schlei? Was für eine Fahrt?«
»Du hast mir nicht zugehört.« Walters Stimme klang unwirsch. »Ich erzähle dir etwas Bahnbrechendes und du interessierst dich nur für Thomsens Rasenmäher.«
Heinz seufzte. Wenn Walter sich nicht ernst genommen fühlte, war er sofort beleidigt. Das war eben seine Finanzbeamtenmentalität, sagte zumindest Charlotte.
Seit Walter mit Inge vor drei Jahren wieder nach Sylt gezogen war, sahen sie sich alle natürlich öfter als früher, deshalb fielen ihnen ihre jeweiligen Macken leider auch so auf. Wobei es nicht sehr viele waren, Heinz fand sich und Walter durchaus umgänglich. Nur manchmal war Walter anstrengend. Da hatte Charlotte ganz recht. Er müsste ihr noch schnell sagen, dass Walter gleich zum Kaffee kommen würde. In versöhnlichem Ton fuhr er fort: »Nun sei nicht so, Walter. Erzähl, was ist mit der Schlei?«
»Ich war da mal als Kind. Kurz nach dem Krieg. Dahin wurden blasse, dünne Stadtkinder geschickt, um aufgepäppelt zu werden. Es war sehr schön da. Ich habe zufällig in der letzten Zeit öfter daran gedacht.«
»Willst du wieder aufgepäppelt werden?« Heinz wusste nicht, worüber Walter redete. »Dann komm doch her. Cremeschnittchen päppeln.«
Walter blieb ernst. »Du verstehst mich nicht. Du bist so unkonzentriert am Telefon, man kann mit dir nicht über wichtige Dinge sprechen. Ich komme jetzt zu euch und zeig dir was. Du wirst dich wundern. Bis gleich.«
Umständlich schloss Walter sein Fahrrad an die Gartenlaterne. Heinz sah ihm kopfschüttelnd dabei zu. »Als ob das Rad aus dem Garten geklaut würde. Stell es doch einfach an die Hauswand.«
»Und dann ist es weg.« Mit zusammengekniffenen Augen gab Walter die Zahlen im Schloss ein. »Die Versicherung zahlt nicht und ich habe dann den Salat. Nein, nein.« Ächzend kam er aus seiner gebückten Stellung wieder hoch. »Das ist ein teures Rad gewesen. Und man weiß doch nicht, wer bei euch so durch den Garten marschiert.«
»Ausschließlich Schlepperbanden.« Heinz sah zu, wie sein Schwager die Fahrradtasche abschnallte und sie sich unter den Arm klemmte. »Spezialisiert auf Fahrräder und Zigaretten. Aber geraucht wird ja hier nicht. Was hast du denn da alles mit?«
»Unterlagen. Ist Charlotte nicht da?«
»Äh, nein, leider.« Heinz zupfte einen unsichtbaren Fussel von seinem Ärmel. »Die Cremeschnittchen waren für den Basar vom Roten Kreuz. Charlotte bringt sie gerade hin. Wir haben aber noch eine Packung Kekse.«
»Ach so.« Ein Anflug von Enttäuschung huschte über Walters Gesicht. »Ist aber egal. Ich wäre sowieso vorbeigekommen. Hast du deine Lesebrille parat?«
Am Tisch auf der Terrasse glättete Walter einen Briefbogen und schob ihn seinem Schwager zu. »Guck dir das mal an.«
Heinz putzte mit langsamen Bewegungen seine Brille, setzte sie auf und betrachtete das Blatt. Er wendete es, legte es wieder auf den Tisch und begann, halblaut vorzulesen.
Herzlichen Glückwunsch, Sie haben gewonnen!
Sehr geehrter Herr Walter Müller,
Sie haben allen Grund, sich zu freuen, denn Sie gehören zu einem kleinen auserwählten Kreis, dem wir, die Firma »Ostseeglück«, ein Angebot machen, das Sie kaum ausschlagen können. In Zeiten der Unsicherheiten auf den Finanzmärkten, der unkalkulierbaren Risiken der Aktienmärkte und der nicht abreißenden Katastrophenmeldungen aus aller Welt fragen sich gerade die wohlsituierten Senioren: »Was passiert mit meinem Geld?« Jahrzehntelang schaffen wir Rücklagen, die uns einen sorgenfreien Lebensabend ermöglichen sollen. Doch hat man wirklich alles richtig gemacht? Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, diese Fragen für Sie zu beantworten. Unsere Klientel besteht ausschließlich aus gutsituierten Senioren, die auch gern unter sich bleiben wollen. In einer der malerischsten Gegenden Norddeutschlands zeigen wir Ihnen Kapitalanlagen mit hoher Renditemöglichkeit, die Sie begeistern werden. Zusammen mit Gleichgesinnten verbringen Sie ein zauberhaftes Wochenende am Ostseefjord, wo unsere Reiseleitung kaum einen Ihrer Wünsche unerfüllt lässt. Da dieses exklusive Angebot natürlich nur einem kleinen, ausgesuchten Kreis offeriert werden kann, füllen Sie doch bitte sofort das beiliegende Formular aus. Sie können eine Begleitperson Ihrer Wahl mitnehmen, geben Sie auch deren Daten an. Aus den eingehenden Zuschriften wählen wir dann die Personen aus, die an diesem exklusiven Wochenende teilnehmen werden.
Die Firma »Ostseeglück« wünscht Ihnen viel Erfolg! Es verbleibt mit herzlichen Grüßen aus dem herrlichen Feriengebiet der Schlei
Ihr Dr. Theo von Alsterstätten Geschäftsführer
Langsam nahm Heinz seine Brille ab und schob den Brief zurück zu Walter. »Wie sind die denn auf dich gekommen?«
»Ich passe doch genau in ihr Profil.« Walter beugte sich vor und tippte mit dem Zeigefinger auf den Brief. »Gutsituierte Senioren, die unter sich bleiben wollen. Hier steht es doch.«
»Ich bin genauso wohlsituiert.« Mit beleidigtem Gesicht riss Heinz die Kekspackung auf und fummelte ein Waffelröllchen aus dem Zellophan. »Als ob du mehr Pension kriegen würdest. Woher haben die denn deine Adresse?«
»Vermutlich von der Sparkasse.« Walter hielt die Hand auf, in die Heinz den Keks legte. »Da war doch vor ein paar Wochen eine Veranstaltung über Renten und Altersvorsorge. Es gab auch belegte Brötchen und Kaffee und Tee und Saft. Ich habe da kurz vorbeigeschaut.«
Sein Schwager war verwundert. »Das war doch nicht für Rentner. Wir haben doch schon alles.«
»Ich weiß.« Walter wischte sich die Schokoladenflecken mit einem Stofftaschentuch von der Hand. »Ich wollte Kontoauszüge holen und dabei sah ich die Brötchen im Nebenraum. Ich hatte so einen Hunger. Und außerdem bin ich Kunde. Aber damit keiner was sagt, habe ich dann eine Broschüre mitgenommen und einen Fragebogen ausgefüllt. Informationen über Renditen haben mich immer interessiert. Obwohl man einem ehemaligen Finanzbeamten natürlich nichts Neues erzählen kann. Ich kenne mich ja aus.«
»Ich bin auch Sparkassenkunde.« Heinz war immer noch beleidigt. »Ich finde es unmöglich, dass du eine Einladung bekommst und ich nicht. Was war das denn für ein Fragebogen, den du da ausgefüllt hast?«
»Das ist doch egal«, winkte Walter ab. »Irgendeine Werbung. Aber darum geht es jetzt nicht. Eine Einladung reicht nämlich. Pass auf: Ich trage dich hier unten als meine Begleitperson ein, siehst du? Hier unten: Heinz Schmidt. So. Und dann habe ich gesehen, dass die Anrede eine andere Schrift hat als der übrige Brief. Das haben die einfach hineinkopiert. Das geht mit Tipp-Ex weg, habe ich schon an einer Stelle probiert. Wir radieren Walter Müller weg, machen eine Kopie, schreiben einfach deinen Namen hin, du trägst mich als Begleitperson ein und schon haben wir eine höhere Gewinnchance. Wie findest du das?«
»Ich weiß nicht.« Walters Begeisterung prallte an Heinz ab. »Ist das nicht Urkundenfälschung?«
»Urkundenfälschung«, schnaubte Walter. »Das ist doch keine Urkunde, das ist eine Einladung. Und du hast doch selbst gesagt, dass du nicht verstehst, warum du nicht eingeladen bist. Wir machen da nur eine kleine Korrektur.
Und dann fahren wir umsonst an die Schlei. Ich wollte da immer schon mal wieder hin. Das waren damals meine schönsten Ferien. Ich war jeden Tag schwimmen. Und es gab Streuselkuchen. Und schönes Wetter. Das wird ein Superwochenende.«
»Ich weiß nicht.«
»Heinz.« Walter war aufgestanden und starrte seinen Schwager wütend an. »Ich gebe mir hier alle Mühe, uns ein exklusives Wochenende zu verschaffen, für das wir keinen Cent bezahlen müssen, und du maulst rum. Wenn du so weitermachst, dann trage ich gleich Inge ein und ihr kommt nicht mit. Aber dann beschwer dich nicht.«
»Ach, du willst, dass wir alle zusammen fahren?« Heinz nahm den Tipp-Ex-Stift und radierte damit vorsichtig auf dem Briefbogen herum.
»Ja, natürlich«, antwortete Walter. »Aber überleg mal, was das kostet. Und so ist alles umsonst. Wir investieren nur eine Fotokopie.«
Heinz? Hier ist Post für dich. Von einem Reiseveranstalter. « Mit fragendem Blick reichte Charlotte drei Tage später Heinz einen Umschlag. »Hast du was gebucht?«
»Gebucht?« Heinz hob nur kurz seine Augen von der Zeitung. »Nein. Was soll ich denn buchen? Der HSV hat schon wieder verloren.« Er las weiter, bis er plötzlich hochfuhr. »Ach, das. Das war ein Preisausschreiben. Da haben wir mitgemacht, also Walter und ich. Das ging ja schnell mit der Antwort.«
Er riss den Umschlag auf und überflog das Schreiben.
»Charlotte, ich habe gewonnen. Das gibt's ja nicht.« Er blickte seine Frau strahlend an. »Wir fahren an die Schlei. Drei Nächte im Hotel, Anreise mit dem Bus, exklusiver Rahmen und ohne einen Cent Zuzahlung. Das ist ja toll. Wie findest du das?«
»Lass mal sehen.« Sie nahm ihm das Schreiben aus der Hand. Ihre Lippen bewegten sich beim Lesen, dann schüttelte sie den Kopf und sah ihren Mann zweifelnd an. »Mit dem Bus ab Bremen? Und Walter begleitet dich? Worauf habt ihr euch denn da eingelassen? Was heißt denn ›Kapitalanlagen‹? Das klingt aber nicht seriös.«
»Das ist eine Art Informationsreise.« Heinz stand schon und ging zum Telefon. »Ich muss Walter anrufen. Vielleicht hat er auch schon was gehört. Wir erklären euch alles in Ruhe. Ich habe gewonnen, das ist toll.«
Bevor er das Telefon erreicht hatte, klingelte es schon. Als er abhob, hörte er Walters Stimme. »Heinz, rate mal, was ich heute in der Post hatte ...«
»Das ist doch wirklich eine Schnapsidee.« Inge schob den Brief in den Umschlag zurück und sah Charlotte hilfesuchend an. »Wie findest du das denn?«
Sie saßen zu viert in der »Strandhalle«, Inges Lieblingsrestaurant, in das Walter eingeladen hatte. Morgens hatte er noch gedacht, dass sie hier die gewonnene Reise feiern würden, jetzt sah das Ganze etwas anders aus.
Walter hatte es kaum fassen können, dass sie beide gewonnen hatten, und sofort bei der Firma »Ostseeglück« angerufen und den Geschäftsführer verlangt. Dr. Theo von Alsterstätten hatte schließlich den Brief unterschrieben. Lang und breit hatte Walter ihm am Telefon erklärt, dass es natürlich scherzhaft gemeint war, als er seinen Schwager und sein Schwager ihn als Begleitperson eingesetzt hätte. Selbstverständlich sollten die Ehefrauen mitfahren, das ließe sich doch bestimmt noch ändern.
»Nein«, hatte Dr. von Alsterstätten geantwortet. Das gehe natürlich nicht, da die Gewinner unter notarieller Aufsicht gezogen worden seien und es deshalb keine Änderungen mehr geben könne. »Wissen Sie, Herr Müller, dieser Kreis ist so exklusiv, dass wir da überhaupt keinen Spielraum haben. Und da Ihre Einladung auch für Ihren Schwager gilt, kann nur einer von Ihnen gewinnen. Dafür ist dann ein anderer Herr nachgerückt. Unsere Veranstaltungen sind sehr begehrt, das können Sie sich ja denken. Exklusivität ist das Stichwort.«
Walter hatte sich Dr. Theo von Alsterstätten wesentlich gesetzter vorgestellt, aber vielleicht hatte er auch einfach nur eine jugendliche Stimme. Und nachdem er ihm auch noch versichert hatte, dass er, Walter, als Gewinner und Heinz als Begleitperson eingetragen war, gab er sich zufrieden.
Walter und Heinz hatten sich kurz beraten und dann einhellig beschlossen, dass man diesen Gewinn nicht verfallen lassen dürfe. Ausgewählt war ausgewählt, und wenn man schon zu einem exklusiven Kreis gehörte, dann sollte man das annehmen. Allerdings hätten sie sich gewünscht, dass ihre Angetrauten etwas begeisterter reagiert hätten. Das war trotz des guten Essens leider nicht der Fall.
Stattdessen stimmte Charlotte ihrer Schwägerin zu. »Ostseefjord. Was wollt ihr da? Heinz, du machst doch immer einen mittleren Aufstand, wenn du Sylt mal verlassen sollst, und jetzt willst du mit Walter im Bus an die Schlei? Ihr beide zusammen?«
»Warum nicht?« Heinz bemühte sich um ein freundliches Gesicht. »Es ist ein Herzenswunsch von Walter. Noch einmal die Schlei sehen.«
»Heinz.« Seine Schwester Inge hob die Augenbrauen. »Du tust so, als hätte Walter nur noch zwei Wochen zu leben. Und von wegen Herzenswunsch. Ich habe in den letzten vierzig Jahren noch nie gehört, dass er mal von der Schlei geredet hat. Walter, sag was.«
Walter verschränkte seine Finger auf dem Tisch. Verträumt sah er in die Runde. »Es waren meine schönsten Ferien. Ich sehe die Landschaft noch vor mir, pure Idylle, viel Wasser, viel Raps und ich als achtjähriger Steppke mittendrin. Ein Traum.«
»Es ist sechzig Jahre her«, warf Charlotte ein. »Da bin ich ja gespannt, was du alles wiedererkennst. Wie auch immer, habt ihr euch denn mal erkundigt, was das für ein Veranstalter ist? Ich finde ja, dass diese ganze Sache ein bisschen komisch klingt. Exklusiv. Das kann doch alles heißen. Und dann gewinnt ihr auch noch beide. Findet ihr das nicht seltsam?«
»Ich weiß wirklich nicht, warum ihr so negativ seid.« Walter stieß Heinz unter dem Tisch an. »Diese Firma ist wirklich in Ordnung, das habe ich natürlich recherchiert. Die Klientel besteht aus gutsituierten Senioren, die an Wirtschaftsfragen interessiert sind. In diese Gruppe fallen Heinz und ich eben genau rein. Und deshalb haben die uns beide ausgesucht. Wahrscheinlich gibt es den einen oder anderen Vortrag über Finanzen und Politik. Das ist ja auch nicht so spannend für euch. Ich finde das alles interessant und wir bezahlen nichts dafür. Ihr könntet euch auch einfach mitfreuen.«
»Genau.« Heinz hatte den Tritt richtig verstanden. »Immerhin sind wir ausgewählt. Da kommt nicht jeder Hinz und Kunz mit, da muss man schon besondere Fähigkeiten und Voraussetzungen haben. Und außerdem muss man auch ab und zu mal über den Tellerrand gucken. Sonst rostet man ein.«
»Ach ja?« Zum Glück kam in diesem Moment die Bedienung mit dem gebratenen Dorsch, so dass Charlottes Kommentar unterbrochen wurde. Heinz und Walter wollten ihn eigentlich auch gar nicht hören.
»Ich sage es dir, Charlotte«, Inge setzte den Blinker und fuhr zügig vom Parkplatz, »ich fahre nicht Hals über Kopf an die Schlei, um den beiden aus irgendwelchen Schwierigkeiten zu helfen.«
Walter und Heinz hatten sich entschlossen, den Heimweg zu Fuß anzutreten, sie hätten viel zu viel gegessen und könnten in diesem pappsatten Zustand sowieso nicht ins Bett gehen. »Fahrt ihr mal mit dem Wagen, wir laufen zurück. Wir müssen auch noch ein paar Reisedetails besprechen. Bis später.«
Als Inge sie überholte, winkten beide ihnen synchron nach.
»Ausgewählt.« Charlotte schnalzte mit der Zunge. »Exklusiver Kreis. Das wird ja was sein. Inge, ich sage dir, die kommen mit Schnellkochtöpfen und Salatschleudern zurück. Das rieche ich doch.«
»Ein bisschen seltsam finde ich das auch alles.« Mit einer schnellen Bewegung stellte Inge den Rückspiegel ein. »Was soll das denn mit den Renditen? Und der Finanzkrise? Na ja, aber da werden sie sich an Walter die Zähne ausbeißen. Ich befürchte nur, dass sie die beiden auf halber Strecke an die Luft setzen, weil Walter sich bei den Vorträgen einmischt und immer alles besser weiß. Ich sehe uns schon mit dem ersten Autozug aufs Festland fahren, weil wir unsere Männer aus irgendeinem abgelegenen Waldstück bei Schleswig abholen müssen. Die sollen sich bloß warme Jacken einpacken, wer weiß, wie lange sie da stehen werden.«
Charlotte seufzte und sah ihre Schwägerin an. »Ich dachte, die beiden sind langsam zu alt für solche Unternehmungen. Aber das war ja wohl ein Irrtum. Ich hoffe nur, dass es keine zu große Katastrophe gibt.«
Johanna sah ihre Tante sofort, als sie das Restaurant betrat. Sie saß an einem Tisch am Fenster, ein Glas Sekt vor sich, und war in die Speisekarte vertieft.
»Hallo, Tante Finchen.«
Mit strahlendem Lächeln hob die den Kopf. »Johanna, wie schön, dass es geklappt hat. Setz dich, Kind, du siehst abgespannt aus. Und dünn bist du geworden. Isst du nichts mehr?«
Johanna küsste sie auf die Wange und ließ sich langsam auf den Stuhl sinken. Finchen trug eine knallbunte Tunika über einer weißen Hose, ihre roten Haare standen in alle Richtungen ab. Bei jeder Bewegung klimperten mindestens zehn Armreifen. Auffällig wäre noch geschmeichelt. Keinesfalls wirkte sie so, wie man sich eine alleinstehende 75-Jährige vorstellt.
Jetzt beugte sie sich weit über den Tisch und drückte Johannas Hand.
»Das kriegen wir schon hin. Möchtest du vor dem Essen auch ein Glas Sekt?«
Abwehrend hob Johanna die Hände. »Um Himmels willen, es ist noch nicht mal ein Uhr. Und ich habe noch Sendung. Daniel ist im Urlaub, und ich muss heute auch moderieren. «
»Ach komm. Nach einem Glas lallst du noch nicht. Das kriegen die Hörer gar nicht mit. Und außerdem haben wir etwas zu feiern.«
Sie drehte sich nach dem Kellner um und gestikulierte wild mit den Händen, während Johanna sie beobachtete.
Finchen hieß eigentlich Josefine Jäger und war die ältere Schwester von Johannas Vater. Der große Name Josefine passte nicht so recht zu der kleinen, zierlichen Person, die Johanna gerade mal bis zum Kinn ging, deshalb hatte sich die kurze Version durchgesetzt. Allerdings nur in der Familie, ansonsten bestand Finchen auf der Langform.
Sie hatte in den sechziger Jahren geerbt, genau wie Johannas Vater. Ihren Eltern hatten eine Druckerei in Hamburg und zwei Mehrfamilienhäuser gehört. Beide waren früh bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Johannas Vater übernahm später die Druckerei, Finchen bekam die Häuser und absolvierte eine Ausbildung zur Schauspielerin. Geld verdienen musste sie nicht, sie hatte eins der Häuser verkauft und mit dem Erlös das andere ausgebaut und erfolgreich vermietet. Schauspielerin aber war sie mit ganzer Leidenschaft gewesen. Auch wenn die großen Rollen ausblieben, wurde sie immer wieder für Nebenrollen in Fernsehserien gebucht. In den letzten Jahren war es ruhiger geworden, was Finchen nicht schlecht fand. Sie hatte genug zu tun, ging ins Kino und ins Theater, besuchte ihre verstreut lebenden Freundinnen und Familienmitglieder und war ständig auf der Suche nach Abwechslung.
»Hallo, junger Mann, bringen Sie meiner Nichte bitte mal eine Speisekarte und ein Glas Sekt?« Johanna war immer wieder überrascht, wie weit die Stimme einer so kleinen Person tragen konnte. Der Kellner war zusammengezuckt, die anderen Gäste sahen zu ihnen herüber.
© 2013 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
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Autoren-Porträt von Dora Heldt
Heldt, DoraDora Heldt, 1961 auf Sylt geboren, hat sich mit ihren Romanen und Krimis auf die Spitzenplätze der Bestsellerlisten und in die Herzen von Millionen von Leserinnen und Lesern geschrieben. Wie kaum eine andere Autorin in Deutschland kennt sie den Buchmarkt von allen Seiten: Die gelernte Buchhändlerin war über 30 Jahre lang Verlagsvertreterin für einen grossen Publikumsverlag. Neben humorvollen Familien- und Frauenromanen (u.a. 'Urlaub mit Papa', 'Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt' oder 'Drei Frauen am See') begeistert sie ihr Publikum mit lustig-skurrilen Sylt-Krimis (u.a. 'Wir sind die Guten'), Erzählungen und Kolumnen. Die Liebe zu ihrer norddeutschen Heimat ebenso wie die zu den Menschen dort fängt Dora Heldt auf unnachahmliche Weise in all ihren Büchern ein.
Bibliographische Angaben
- Autor: Dora Heldt
- 2013, 2. Aufl., 352 Seiten, Gebunden, Deutsch
- Verlag: DTV
- ISBN-10:
- ISBN-13: 4026411311593
- Erscheinungsdatum: 21.03.2013
Rezension zu „Herzlichen Glückwunsch, Sie haben gewonnen! “
Dora Heldt schreibt über das, was Frauen bewegt und worüber sie schmunzeln. Roger Lindhorst NDR 1 Niedersachsen 20170903
Pressezitat
Dora Heldt schreibt über das, was Frauen bewegt und worüber sie schmunzeln. Roger Lindhorst NDR 1 Niedersachsen 20170903
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