Puls
Clayton Riddell will sich gerade an einem Strassenstand ein Eis kaufen, als die Welt unterzugehen scheint. Denn jeder, der zu diesem Zeitpunkt ein Handy am Ohr hat, beginnt Amok zu laufen, andere abzuschlachten, sich ins Verderben zu stürzen. Irgendwie...
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Clayton Riddell will sich gerade an einem Strassenstand ein Eis kaufen, als die Welt unterzugehen scheint. Denn jeder, der zu diesem Zeitpunkt ein Handy am Ohr hat, beginnt Amok zu laufen, andere abzuschlachten, sich ins Verderben zu stürzen. Irgendwie können sich Clay, ein anderer Mann und ein kleines Mädchen in ein Hotel retten. In dem sie allerdings völlig von der Aussenwelt abgeschnitten sind. Doch Clay will unbedingt Kontakt zu seinem Sohn aufnehmen - bevor es ein anderer per Handy tut.
Das Grauen kommt nicht aus Gräbern oder aus dem Weltraum. Es ist mitten unter uns und steckt in jeder Handtasche. Das Handy ist ein moderner Heilsbringer, doch in Stephen Kings "Puls" kommen mit dem Klingelton Wahnsinn und Tod.
Clayton Riddell ist geschäftlich in Boston, hat schon Geschenke für seine Familie besorgt und möchte sich vor der Heimfahrt gerade bei einem Strassenhändler ein Eis kaufen, als die Welt untergeht. Geschäftsleute, Schüler, Busfahrer, alle Menschen, die in diesem Moment ein Handy am Ohr haben, laufen wie auf einen geheimen Befehl hin Amok, fallen übereinander her, schlachten sich gegenseitig ab, stürzen sich ins Verderben. Irgendwie können Clay, ein kleiner Mann mit Schnurrbart und ein junges Mädchen, das beinahe von ihrer Mutter umgebracht worden wäre, sich in ein Hotel retten. Sie sind völlig abgeschnitten von der Aussenwelt. Clay will unbedingt herausfinden, wie es um seine Frau und vor allem um seinen Sohn Johnny steht, der gerade in der Schule war, als der mörderische Irrsinn losging. Zu ihm muss Clay Kontakt aufnehmen, bevor ein anderer es per Handy tut. Die Suche nach Johnny wird zur Schreckensmission durch eine apokalyptische Welt.
Das Grauen kommt nicht aus Gräbern oder aus dem Weltraum. Es ist mitten unter uns und steckt in jeder Handtasche. Das Handy ist ein moderner Heilsbringer, doch in Stephen Kings 'Puls' kommen mit dem Klingelton Wahnsinn und Tod.
Clayton Riddell ist geschäftlich in Boston, hat schon Geschenke für seine Familie besorgt und möchte sich vor der Heimfahrt gerade bei einem Strassenhändler ein Eis kaufen, als die Welt untergeht. Geschäftsleute, Schüler, Busfahrer, alle Menschen, die in diesem Moment ein Handy am Ohr haben, laufen wie auf einen geheimen Befehl hin Amok, fallen übereinander her, schlachten sich gegenseitig ab, stürzen sich ins Verderben. Irgendwie können Clay, ein kleiner Mann mit Schnurrbart und ein junges Mädchen, das beinahe von ihrer Mutter umgebracht worden wäre, sich in ein Hotel retten. Sie sind völlig abgeschnitten von der Aussenwelt. Clay will unbedingt herausfinden, wie es um seine Frau und vor allem um seinen Sohn Johnny steht, der gerade in der Schule war, als der mörderische Irrsinn losging. Zu ihm muss Clay Kontakt aufnehmen, bevor ein anderer es per Handy tut. Die Suche nach Johnny wird zur Schreckensmission durch eine apokalyptische Welt.
"Stephen King ist zurück. Grandios vom ersten bis zum letzten Wort. Ein fesselnder Horrorthriller mit dem psychologischen Feinsinn, der King schon immer ausgezeichnet hat." - Bild am Sonntag
"Spannnend bis zum Atemstillstand. Und Zivilisationskritik der fiesen Sorte." - B.Z.
"Nur King kann derart umfassend Infernos entfachen." - Stern
Puls von Stephen King
LESEPROBE
1
Das Ereignis, das als der Puls bekannt werden sollte, begannam Nachmittag des 1. Oktober um 15.03 Uhr Eastern Standard Time. DieBezeichnung war natürlich unzutreffend, aber binnen zehn Stunden nach demEreignis waren die meisten Wissenschaftler, die darauf hätten hinweisen können,entweder tot oder irrsinnig. Der Name war ohnehin nicht weiter wichtig. Wichtigwar die Wirkung.
Um drei Uhr an diesem Nachmittag ging ein junger Mann, derfür die Weltgeschichte ohne besondere Bedeutung war, die Bostoner BoylstonStreet entlang, hüpfte sie fast entlang. Er hiess Clayton Riddell. Auf seinemGesicht stand ein Ausdruck unverkennbarer Zufriedenheit, der zu dem Schwung inseinem Schritt passte. Mit der linken Hand schlenkerte er eine jenerKünstlermappen, die sich für unterwegs zuklappen und mit Schnappschlössernsichern liessen. Um die Finger seiner rechten Hand war die Zugschnur einerTragetasche aus braunem Kunststoff geschlungen, auf die für jeden, der Lusthatte, sie zu lesen, die Wörter small treasures gedruckt waren.
In der hin- und herschwingenden Tragetasche befand sich einkleiner runder Gegenstand. Ein Geschenk, hätten Sie vielleicht vermutet, undSie hätten Recht gehabt. Sie hätten vielleicht weiter vermutet, dieser ClaytonRiddell wolle irgendeinen kleinen (oder vielleicht nicht einmal so kleinen)Sieg mit einem small treasure feiern, und hätten wieder Recht gehabt. DerGegenstand in der Tragetasche war ein ziemlich teurer Briefbeschwerer aus Glas,in dessen Mitte eine graue Pusteblume eingeschlossen war. Gekauft hatte er ihnauf dem Rückweg vom Hotel Copley Square zu dem weit bescheideneren AtlanticAvenue Inn, in dem er wohnte: verängstigt wegen des Neunzigdollarpreisschildsauf der Unterseite des Briefbeschwerers, aber irgendwie noch mehr wegen derErkenntnis, dass er sich jetzt solche Dinge leisten konnte.
Der Verkäuferin seine Kreditkarte zu geben hatte fastphysischen Mut erfordert. Er bezweifelte, dass er dazu imstande gewesen wäre,wäre der Briefbeschwerer für ihn selbst gewesen; er hätte irgendetwasgemurmelt, er habe sich die Sache anders überlegt, und wäre hinausgehastet.Aber das Ding war für Sharon. Sharon mochte solche Sachen, und sie mochte auchihn noch immer - Ich halte zu dir, Baby, hatte sie am Tag vor seiner Abreisenach Boston gesagt. Im Bewusstsein dessen, wie viel Scheiss sie einander imvergangenen Jahr zugefügt hatten, war er gerührt gewesen. Jetzt wollte er sieanrühren, falls das noch möglich war. Der Briefbeschwerer war klein (ein smalltreasure), aber er war sich sicher, dass sie die zarte graue Wolke ausLöwenzahnsamen - ein Nebel im Miniformat tief in der Mitte des Glases - mögenwürde.
2
Clays Aufmerksamkeit wurde durch das Bimmeln eines Eiswagensgeweckt. Er stand gegenüber dem Hotel Four Seasons (das sogar noch prächtigerals das Copley Square war) vor dem Boston Common, dem Stadtpark, der sich auf dieserStrassenseite zwei, drei Blocks weit die Boylston Street entlangzog. Über einemPaar tanzender Eiswaffeln standen in Regenbogenfarben die Wörter MISTER SOFTEE.Drei Jungen standen mit Büchertaschen vor den Füssen am Ausgabefensterzusammengedrängt und warteten auf die süsse Nascherei. Hinter ihnen standen eineFrau in einem Hosenanzug mit einem Pudel an der Leine und zwei Mädchen imTeenageralter in Hüftjeans und mit iPods und Kopfhörern, die sie gegenwärtig umden Hals trugen, damit sie sich murmelnd unterhalten konnten - ernsthaft, ohnezu kichern.
Clay stellte sich hinter ihnen an, wodurch eine ehemaligeKleingruppe sich in eine kurze Schlange verwandelte. Er hatte seiner von ihmentfremdeten Frau ein Geschenk gekauft; er würde auf der Heimfahrt bei ComixSupreme vorbeischauen, um seinem Sohn das neue Spiderman-Heft zu kaufen; alsokonnte er sich selbst auch etwas gönnen. Er brannte darauf, Sharon seineNeuigkeiten zu erzählen, aber sie war unerreichbar, bis sie gegen Viertel vorvier nach Hause kam. Er stellte sich vor, dass er mindestens so lange im Innbleiben würde, bis er mit ihr gesprochen hatte; dort würde er die meiste Zeitin seinem kleinen Zimmer auf und ab tigern und seine mit Schnappschlösserngesicherte Künstlermappe ansehen. Bis dahin bildete Mister Softee einenwillkommenen Zeitvertreib.
Der Kerl im Eiswagen reichte den Jungen vor dem Fenster ihreBestellungen hinaus: zwei Eis am Stiel und eine riesige Waffeltüte mit einemgedrehten Schokolade-und-Vanille-Softeiskegel für den grosszügigen Spender inder Mitte, der anscheinend für alle zahlte. Während der einen Wust vonDollarscheinen aus seiner modischen Baggy-Jeans angelte, griff diePudelbesitzerin im Poweranzug in ihre Umhängetasche, holte ihr Handy heraus -Frauen in Poweranzügen gingen ebenso wenig ohne ihre Handys aus dem Haus wieohne ihre Kreditkarten - und klappte es auf. Hinter ihnen im Park kläffte einHund, und irgendwer stiess einen Schrei aus. In Clays Ohren war das keinfröhlicher Schrei, aber als er sich umsah, konnte er nur einige Spaziergänger,einen Hund, der mit einer Frisbeescheibe in der Schnauze dahintrottete(herrscht dort drinnen nicht Leinenzwang?, fragte er sich), und weite Flächenvon sonnigem Grün und einladendem Schatten sehen. Bestimmt ein guter Ort, andem ein Mensch, der gerade seine erste Graphic Novel verkauft hatte - und dieFortsetzung, beides zudem für erstaunlich viel Geld -, sich hinsetzen und einSchokoladeneis essen konnte.
Als er sich wieder umsah, waren die drei Jungen in denBaggy-Jeans fort, und die Frau im Poweranzug bestellte einen Eisbecher. Einesder beiden Mädchen hinter ihr trug ein minzegrünes Handy mit Klipphalterung ander Hüfte, und Power Suit Woman hatte ihres fest ins Ohr geschraubt. Claydachte, wie er das auf irgendeiner Bewusstseinsebene fast immer tat, wenn erVariationen dieses Benehmens sah, dass er Zeuge wurde, wie ein Benehmen, dasfrüher als grob unhöflich gegolten hätte - ja, selbst während man ein Geschäftmit einem völlig Unbekannten abschloss -, doch allmählich zu einem Teil desallgemein akzeptierten Verhaltenskodex wurde.
Lass es in Dark Wanderer einfliessen, Schatz, sagte Sharon.Die Version von ihr, die er im Kopf behielt, sprach oft und äusserte zu allemihre Meinung. Das traf auch auf die reale Sharon zu, Trennung hin oder her.Allerdings nicht übers Handy. Clay besass keines.
Das minzegrüne Telefon spielte den Anfang jenes Songs vonCrazy Frog, den Johnny so liebte - hiess er nicht »Axel F«? Clay konnte sichnicht genau daran erinnern, vielleicht weil er ihn bewusst ausgeblendet hatte.Das Mädchen, dem das Handy gehörte, riss es von der Hüfte und sagte: »Beth?«Sie hörte zu, lächelte, dann sagte sie zu ihrer Begleiterin: »Das ist Beth.«Nun beugte sich das andere Mädchen nach vorn, und sie hörten beide zu, währendbeinahe identische Pixiefrisuren (Clay erschienen sie fast wieZeichentrickfiguren aus dem Vormittagsprogramm am Samstag, vielleicht diePowerpuff Girls) von der Nachmittagsbrise aufgeplustert wurden.
»Maddy?«, sagte die Frau im Poweranzug fast genaugleichzeitig. Ihr Pudel sass jetzt sinnend am Ende der Leine (die Leine war rotund mit Glitzerzeug bestäubt) und beobachtete den Verkehr auf der BoylstonStreet. Auf der anderen Strassenseite, vor dem Four Seasons, winkte ein Portierin brauner Livree - diese Anzüge schienen immer braun oder blau zu sein -,vermutlich nach einem Taxi. Ein mit Touristen voll besetztes Amphibienfahrzeugvon Duck Tours, das auf dem Trockenen irgendwie deplatziert wirkte, rauschtevorbei, während der Fahrer über Lautsprecher über irgendetwas Historischesschwatzte. Die beiden Mädchen, die dem minzegrünen Telefon zuhörten, wechselteneinen Blick und lächelten über etwas, das sie hörten, kicherten aber noch immernicht.
»Maddy? Kannst du mich hören? Kannst du «
Die Frau in dem Poweranzug hob die Hand, in der sie dieHundeleine hielt, und bohrte einen Finger mit langem Nagel in ihr freies Ohr.Clay, der um ihr Trommelfell fürchtete, zuckte leicht zusammen. Er stellte sichvor, wie er sie zeichnen würde: der Hund an der Leine, der Poweranzug, die modischeKurzhaarfrisur und ein dünner Blutfaden aus dem Ohr, in dem ihr Fingersteckte. Das Duck Boat, das eben am Bildrand verschwand, und der Portier imHintergrund, die beide die Zeichnung irgendwie realistischer erscheinen lassenwürden. Das würden sie; das gehörte zu den Dingen, die man einfach wusste.
»Maddy, du kommst unterbrochen an! Ich wollte dir blosserzählen, dass ich mir die Haare bei diesem neuen meine Haare? MEINE «
Der Kerl in dem Mister-Softee-Wagen beugte sich hinunter undhielt ihr den Eisbecher hin. Daraus erhob sich ein weisser Berg, an dessenFlanken Ströme von Schokoladen- und Erdbeersosse herabliefen. Seinstoppelbärtiges Gesicht war ausdruckslos. Es sagte, er habe alles schon malgesehen. Davon war Clay überzeugt - das meiste vermutlich zweimal. Im Parkkreischte irgendjemand. Clay sah sich abermals um, redete sich wieder ein, dasmüsse ein Freudenschrei gewesen sein. Drei Uhr nachmittags, ein sonnigerNachmittag auf dem Boston Common, das musste eigentlich ein Freudenschrei sein.Oder?
Die Frau sagte irgendetwas Unverständliches zu Maddy undklappte ihr Handy mit einer geübten Handbewegung zu. Sie liess es wieder in ihreUmhängetasche fallen, dann stand sie einfach da, als hätte sie vergessen, wassie hier tat, oder sogar, wo sie war.
»Macht vier fünfzig«, sagte der Mister-Softee-Kerl, der ihrweiter geduldig den Eisbecher hinhielt. Clay hatte noch Zeit zu denken, wiebeschissen teuer in der Stadt alles war. Vielleicht fand die Frau im Poweranzugdas auch, jedenfalls tat sie - wenigstens nahm er das zuerst an - noch einenAugenblick länger nichts, sondern betrachtete nur den Becher mit dem Berg ausEiscreme und der herablaufenden Sosse, als hätte sie dergleichen noch niegesehen.
Dann kam ein weiterer Schrei vom Stadtpark herüber, diesmalkein menschlicher Laut, sondern etwas zwischen einem überraschten Jaulen undeinem schmerzlichen Heulen. Clay drehte sich danach um und sah den Hund, dermit der Frisbeescheibe vorbeigetrottet war. Es war ein ziemlich grosser braunerHund, vielleicht ein Neufundländer, er kannte sich eigentlich nicht mit Hundenaus, wenn er einen zeichnen musste, holte er sich ein Buch und zeichnete einenab. Ein Mann in einem Geschäftsanzug kniete neben dem Hund, hatte ihn in denSchwitzkasten genommen und schien - bestimmt sehe ich nicht, was ich zu sehenglaube, dachte Clay - an seinem Ohr herumzukauen. Dann jaulte der Hund wiederauf und versuchte sich loszureissen. Der Mann im Geschäftsanzug hielt ihn eisernfest, und ja, der Mann hatte das Hundeohr im Mund, und während Clay ihn weiterbeobachtete, riss der Mann es vom Kopf des Hundes ab. Diesmal stiess der Hundeinen fast menschlichen Schrei aus, und einige Enten, die auf einem nahegelegenen Teich geschwommen hatten, flogen laut quakend auf.
»Räst!«, rief jemand hinter Clay. Zumindest klang es wieRäst. Es hätte auch »Rest« oder »Rost« sein können, aber im Licht spätererErfahrungen tendierte er zu Räst: kein richtiges Wort, sondern bloss einunverständlicher aggressiver Laut.
Er drehte sich gerade rechtzeitig nach dem Eiswagen um, umzu sehen, wie Power Suit Woman ins Ausgabefenster hechtete, um denMister-Softee-Kerl zu fassen zu bekommen. Sie schaffte es, die losen Falten ander Vorderseite seines weissen Kittels zu packen, aber ein einzelnererschrockener Schritt rückwärts genügte, damit er sich aus ihrem Grifflosreissen konnte. Ihre hohen Absätze verliessen kurz den Gehsteig, und er hörtedas Rascheln von Stoff und das Klicken von Knöpfen, als die Vorderseite ihresJacketts erst über den Rand der kleinen Theke hinauf und dann wieder nach untenratterte. Der Eisbecher purzelte ausser Sicht. Clay sah eine Schmiere ausEiscreme und Sosse auf dem linkem Handgelenk und Unterarm von Power Suit Woman,als ihre hohen Absätze wieder auf den Gehsteig klackten. Sie taumelte mit leichtgebeugten Knien. Ihr verschlossener, wohlerzogener, für die Öffentlichkeitbestimmter Gesichtsausdruck - den Clay für einen grundsätzlichenAuf-der-Strasse-keine-Miene-verziehen-Look hielt - war durch ein krampfartigesZähnefletschen ersetzt worden, das ihre Augen zu Schlitzen verkleinerte undbeide Zahnreihen freilegte. Ihre Oberlippe war völlig nach aussen gestülpt undliess eine samtartige rosa Auskleidung sehen, so intim wie eine Scheide. IhrPudel lief auf die Strasse und schleppte dabei seine rote Leine mit derHandschlaufe am Ende hinter sich her. Eine schwarze Limousine überfuhr denPudel, bevor er halb drüben war. Eben noch Flausch; im nächsten AugenblickBrei.
Wahrscheinlich hat der arme Köter schon im Hundehimmelgekläfft, bevor er gewusst hat, dass er tot ist, dachte Clay. Er begriff aufirgendeine distanzierte Weise, dass er unter Schock stand, was aber an derIntensität seiner Verwunderung gar nichts änderte. Er stand einfach nur mitseiner Künstlermappe in der einen Hand und seiner braunen Tragetasche in deranderen mit herabhängender Kinnlade da.
Irgendwo - vielleicht um die nächste Ecke auf der NewburyStreet - explodierte irgendetwas.
Die beiden Mädchen hatten zwar genau dieselbe Frisur überihren iPod-Kopfhörern, aber die mit dem minzegrünen Handy war blond, währendihre Freundin brünett war; sie waren sozusagen Pixie Light und Pixie Dark.Jetzt liess Pixie Light ihr Handy auf den Gehsteig fallen, wo es zerschellte,und packte Power Suit Woman um die Taille. Clay nahm an (soweit er in diesen Augenblickenüberhaupt imstande war, etwas anzunehmen), dass sie Power Suit Woman daranhindern wollte, sich erneut auf den Mister-Softee-Kerl zu stürzen oder ihremHund auf die Strasse nachzulaufen. Es gab sogar einen Teil seines Verstandes,der der Geistesgegenwart des Mädchens applaudierte. Ihre Freundin, Pixie Dark,wich mit zwischen den Brüsten gefalteten kleinen weissen Händen und angstvollaufgerissenen Augen von der ganzen Chose zurück.
Clay liess seine Sachen fallen, auf beiden Seiten je eine,und trat vor, um Pixie Light zu helfen. Auf der anderen Strassenseite - das nahmer nur am Rand seines Blickfelds wahr - kam ein Wagen ins Schleudern und rasteüber den Gehsteig vor dem Four Seasons, sodass der Portier beiseite flitzenmusste. Vom Vorplatz des Hotels drangen Schreie herüber. Und bevor Clayanfangen konnte, Pixie Light in Sachen Power Suit Woman zu helfen, hatte PixieLight mit ihrem hübschen kleinen Gesicht schlangenartig gewandt zugestossen,ihre unzweifelhaft kräftigen jungen Zähne gefletscht und in den Hals von PowerSuit Woman geschlagen. Sofort spritzte ein gewaltiger Blutstrahl hervor. DasPixie-Girl hielt ihr Gesicht hinein, schien darin zu baden, vielleicht sogardavon zu trinken (Clay war sich fast sicher, dass sie das tat), dann schütteltesie Power Suit Woman wie eine Puppe. Die Frau war grösser, musste an die zwanzigKilo schwerer sein als die Kleine, aber das Mädchen schüttelte sie so kräftig,dass der Kopf der Frau hin und her flog und weiteres Blut verspritzte.Gleichzeitig erhob das Mädchen sein blutverschmiertes Gesicht zu dem leuchtendblauen Oktoberhimmel und stiess ein Heulen aus, das wie Triumphgeheul klang.
Sie ist verrückt, dachte Clay. Völlig übergeschnappt.
»Wer bist du?«, rief Pixie Dark laut. »Was ist los?«
Beim Klang der Stimme ihrer Freundin warf Pixie Light ihrenblutigen Kopf herum. Von den kurzen Dolchspitzen ihrer Stirnfransen tropfteBlut. Augen wie weisse Lichter glotzten aus blutgesprenkelten Höhlen.
Pixie Dark starrte Clay mit weit aufgerissenen Augen an.»Wer bist du?«, wiederholte sie und dann: »Wer bin ich?«
Pixie Light liess Power Suit Woman fallen, aus derenaufgebissener Halsschlagader beim Zusammenbrechen auf dem Gehsteig weiter Blutspritzte, dann stürzte sie sich auf das Mädchen, mit dem sie sich noch vorwenigen Augenblicken dick befreundet ein Handy geteilt hatte.
Clay dachte nicht nach. Hätte er nachgedacht, wäre PixieDark vielleicht ebenso der Hals aufgebissen worden wie der Frau im Hosenanzug.Er sah nicht einmal hin. Er griff einfach nach rechts unten, bekam dieTragetasche von small treasures am oberen Rand zu fassen und schwang sie gegenPixie Lights Hinterkopf, als diese sich auf ihre ehemalige Freundin stürzte,wobei sich ihre ausgestreckten Hände vor dem blauen Himmel wie Seesterneabzeichneten. Wenn er sie verfehlte
Er verfehlte sie nicht, streifte das Mädchen auch nicht etwanur. Der gläserne Briefbeschwerer in der Tragetasche traf Pixie Light mitgedämpftem dumpfem Aufprall genau am Hinterkopf. Pixie Light liess die Händesinken, eine blutbefleckt, die andere noch sauber, und plumpste zu Füssen ihrerFreundin wie ein Kartoffelsack auf den Gehsteig.
»Was zum Teufel?«, rief Mister-Softee-Kerl. Seine Stimmeklang unwahrscheinlich hoch. Vielleicht hatte der Schock einen Kontratenor ausihm gemacht.
»Keine Ahnung«, sagte Clay. Sein Herz jagte. »Schnell,helfen Sie mir. Die andere hier verblutet.«
Von der Newbury Street hinter ihnen kam das unverkennbaredumpfe Krachen und Klirren eines Zusammenstosses, dem sofort Schreie folgten.Den Schreien wiederum folgte eine weitere Explosion, diesmal lauter,scheppernder, in den Tag hinaushämmernd. Hinter dem Mister-Softee-Wagenschleuderte ein weiteres Auto über drei Fahrspuren der Boylston Street auf denVorplatz des Four Seasons, wo es ein paar Fussgänger niedermähte und dann dasHeck des vorigen Wagens rammte, der mit eingedrückter Motorhaube an der Drehtürzum Stehen gekommen war. Durch diesen zweiten Zusammenstoss bohrte der ersteWagen sich noch weiter in ...
© Heyne Verlag
Übersetzung: Wulf Bergner
Seine Werke erscheinen im Heyne-Verlag.
- Autor: Stephen King
- 2007, Erstmals im TB, 572 Seiten, Masse: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Wulf Bergner
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453565096
- ISBN-13: 9783453565098
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