Tanz im Feuer
Roman
Ausgerechnet auf einer Landstrasse mitten in Texas setzen bei Leigh die Wehen ein. Zum Glück hilft ihr ein wildfremder Mann: Chad rettet nicht nur Leighs Baby, sondern erobert auch ihr Herz. Doch er hat eine gefährliche Aufgabe, für die er alles opfern würde - auch sein Leben.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Tanz im Feuer “
Ausgerechnet auf einer Landstrasse mitten in Texas setzen bei Leigh die Wehen ein. Zum Glück hilft ihr ein wildfremder Mann: Chad rettet nicht nur Leighs Baby, sondern erobert auch ihr Herz. Doch er hat eine gefährliche Aufgabe, für die er alles opfern würde - auch sein Leben.
Klappentext zu „Tanz im Feuer “
Ein Mann voller Rätsel, eine Frau mit tragischer Vergangenheit - ein heisser Tanz beginnt ...Die Geburt ihres ersten Kindes hatte Leigh Bransom sich wirklich anders vorgestellt - ausgerechnet auf einer einsamen Landstrasse mitten in Texas setzen plötzlich die Wehen ein. Ein wildfremder Mann in einem Pick-up-Truck ist ihre einzige Hilfe. Dieser gut aussehende, wortkarge Fremde mit den sanften Händen rettet nicht nur ihr Baby, sondern erobert auch ihr Herz. Doch Leigh erkennt bald, dass ihr diese neue Liebe jederzeit wieder entrissen werden kann. Denn Chad hat eine gefährliche Aufgabe, für die er alles opfern würde - wenn es sein muss, auch sein Leben.
Lese-Probe zu „Tanz im Feuer “
Tanz im Feuer von Sandra BrownDeutsch von Christoph Göhler
Kapitel 1
»Madam, fehlt Ihnen was? Kann ich Ihnen helfen?«
Leigh Bransom bemerkte den Mann erst, als er an ihr Wagenfenster klopfte. Die Schmerzen in ihrem Unterleib waren so stark, dass sie nichts außer den entsetzlichen Krämpfen wahrgenommen hatte, die ihr den Atem raubten. Jetzt hob sie den Kopf vom Lenkrad, drehte ihn zu der Stimme hin und stöhnte gleich wieder gequält auf. Das Gesicht, das durchs Seitenfenster hineinblickte, sah nicht gerade vertrauenerweckend aus.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte der Mann.
Nein, nichts war in Ordnung, aber das würde sie dem ungepflegten Kerl keinesfalls verraten, der sich da neben ihrem Wagen aufgebaut hatte. Woher sollte sie wissen, ob er ihr nichts antun würde? Auf diesem gottverlassenen Highway konnte er alles Mögliche mit ihr anstellen, ohne dass er jemals dafür zur Rechenschaft gezogen würde. Seine Sachen sahen dreckig und verschwitzt aus. Das einzige Saubere an ihnen war die große Messingschnalle mit dem aufgeprägten texanischen Staatswappen an seinem überbreiten Gürtel, die genau auf ihrer Augenhöhe war. Er musste an die eins neunzig groß sein, denn er hatte seinen Oberkörper nach unten gebeugt, um durch das Fenster zu ihr hineinschauen zu können. Die abgetragenen Jeans und das kurzärmlige karierte Baumwollhemd lagen eng an seinem muskulösen Körper. Ein verschlissener Cowboyhut aus Stroh warf einen düsteren Schatten über das ohnehin schon finstere Gesicht. Trotz ihrer Schmerzen spürte Leigh, wie sich ihr Herz vor Angst verkrampfte.
Wenn sie ihm in die Augen schauen könnte ... Aber die dunkle Sonnenbrille machte es unmöglich.
... mehr
Als hätte er ihre Gedanken erraten, nahm der Fremde die Brille ab und ließ Leigh in die blauesten Augen sehen, die ihr jemals begegnet waren. Der Blick, mit dem seine Augen sie anschauten, wirkte nicht im Geringsten bedrohlich, und Leigh spürte, wie sich die eiskalte Faust, die sich um ihr Herz geschlossen hatte, ein kleines bisschen öffnete. Auch wenn dieser Kerl offenbar schon länger kein Wasser mehr gesehen hatte, sah er nicht so aus, als würde er die Situation ausnutzen.
»Ich tu Ihnen nichts, Madam. Ich wollte nur fragen, ob ich Ihnen irgendwie helfen kann.« Leigh fand seine tiefe, weiche Stimme - genau wie seine Augen - vertrauenswürdig, ohne dass sie hätte sagen können, warum.
In diesem Moment kamen die Schmerzen wieder. Sie strahlten von ihrem Rückgrat aus, zogen sich um ihren Bauch und sammelten sich in ihrem Unterleib. Leigh zog die Unterlippe zwischen die Zähne, um sich den Schrei zu verbeißen, der durch ihre Kehle drängte, und krümmte sich immer weiter zusammen, bis sie erneut mit dem Kopf auf das Lenkrad schlug.
»Mein Gott«, hörte sie ihn erschrocken sagen, dann wurde die Tür aufgerissen. Der Mann warf einen Blick auf ihren unförmigen Bauch und pfiff leise durch die Zähne. »Was in aller Welt tun Sie in Ihrem Zustand so allein hier draußen?«, fragte er. Ohne ihre Antwort abzuwarten - zu der sie ohnehin nicht fähig gewesen wäre -, warf er die Brille auf das Armaturenbrett hinter dem Steuer.
Leigh keuchte und versuchte, die Sekunden zu zählen, bis die Wehe vorüber war. Offenbar hatte er die Frage rein rhetorisch gemeint, denn er legte ihr ohne jeden weiteren Kommentar eine Hand auf die Schulter. Sie fühlte sich heiß und trocken auf ihrer kühlen, schweißnassen Haut an.
»Ganz ruhig, okay? Ganz ruhig. Besser?«, fragte er, als die Wehe endlich vorüber war und sie sich stöhnend in den Sitz zurücksinken ließ.
»Ja«, hauchte sie. Sie schloss die Augen, um neue Kraft zu schöpfen und trotz ihrer Wehen einen letzten Rest an Würde zu bewahren. »Danke«.
»Unsinn, ich habe doch gar nichts gemacht. Wie kann ich Ihnen helfen? Wohin wollten Sie denn?«
»Nach Midland.«
»Ich auch. Soll ich Sie hinfahren?«
Sie öffnete die Augen einen Spaltbreit und musterte ihn schnell und argwöhnisch. Er war zwischen ihr und der offenen Wagentür in die Hocke gegangen. Eine kräftige, braune Hand lag auf dem grauen Sitzpolster des Fahrersitzes, die andere auf dem Steuer ihres Kleinwagens. Jetzt, ohne die irritierende Sonnenbrille, konnte sie so tief in diese unbeschreiblich blauen Augen blicken, dass sie fast darin zu ertrinken glaubte. Wenn es stimmte, dass die Augen ein Fenster zur Seele waren, dann konnte Leigh diesem Mann vertrauen.
Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen. »Wahrscheinlich ... wahrscheinlich wäre es das Beste.«
Er schaute kurz über seine Schulter nach hinten. »Ich glaube, wir sollten lieber Ihren Wagen nehmen und meinen hierlassen. Das ist - o Gott, kommt schon wieder eine?«
Sie hatte die Wehe kommen gespürt, noch bevor der Schmerz einsetzte. Mit aller Kraft presste sie die Hände gegen ihren gespannten Bauch und versuchte gleichzeitig, sich auf ihren Atem zu konzentrieren und sich zu entspannen. Leigh hatte das Gefühl, dass diese Wehe länger dauerte als alle vorigen. Als sie schließlich überstanden war, sank sie japsend in den Sitz zurück.
»Madam, es sind noch mindestens vierzig Meilen bis Midland. Das schaffen wir nie im Leben. Wie lange haben Sie denn schon Wehen?« Er wirkte zwar besorgt, aber keineswegs ängstlich. Seine Stimme klang ruhig und bedächtig.
»Ich habe vor einer Dreiviertelstunde angehalten.« Sie hatte die Augen geschlossen. Die Andeutung eines Lächelns huschte über ihr schweißnasses Gesicht. »Schmerzen habe ich allerdings schon länger. Zuerst habe ich gedacht, ich hätte mir nur den Magen verdorben.« Sie öffnete die Augen wieder und sah ihn an.
Er lächelte leicht, und ihr fielen die kleinen Lachfältchen rings um diese atemberaubenden Augen auf. »Und niemand hat angehalten, um Ihnen zu helfen?«
Sie schüttelte den Kopf. »In der ganzen Zeit sind nur zwei Wagen vorbeigekommen, doch sie haben nicht angehalten. « Im Grunde war sie froh darüber gewesen. Die beiden klapprigen, rostigen Pritschenwagen hatten nicht so ausgesehen, als würden sie von besonders zuverlässigen Menschen gefahren.
Er maß mit den Augen das Wageninnere ab, als wollte er den Platz abschätzen. »Glauben Sie, dass Sie ein paar Schritte gehen können? Wenn nicht, trage ich Sie.«
Gehen? Sie tragen? Wohin wollte er mit ihr? Er las die Frage aus ihrem ängstlichen Blick. »Sie können sich auf die Ladefläche meines Wagens legen. Es ist zwar nicht gerade ein Kreißsaal, aber ich glaube nicht, dass sich das Baby daran stören wird.«
Diesmal lächelte er wirklich. Die Lachfalten wurden deutlicher, vertieften sich und schimmerten hell in der ansonsten sonnengebräunten Haut. Regelmäßige Zähne blitzten weiß in dem kupferfarbenen Gesicht. Leigh ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie unter anderen Umständen, auf einer Party etwa, das Gesicht geradezu entwaffnend attraktiv gefunden hätte.
»Ich glaube schon, dass ich gehen kann«, sagte sie und zog langsam die Beine unter dem Lenkrad hervor. Sofort stand er auf und trat zur Seite, um ihr Platz zu machen. Mühsam stemmte sie sich aus dem tiefen Autositz hoch. Er bemerkte, wie schwer ihr die Anstrengung fiel, beugte sich zu ihr herab und schob einen festen, kräftigen Arm unter ihre Achseln. Dankbar stützte sie sich auf ihn und ließ sich hochziehen.
Mit vorsichtigen, kleinen Schritten gingen sie langsam zum Wagenheck. Die stickige Luft rollte in heißen Wellen von der westtexanischen Ebene heran. Jeder Atemzug kostete Leigh Überwindung. »Stützen Sie sich auf mich. Wir haben es gleich geschafft.« Sein Atem streifte ihre Wange.
Damit sie sich ganz auf das Gehen konzentrieren konnte, senkte sie den Blick und schaute auf ihre Füße. Er gab sich Mühe, sich ihren kleinen, unsicheren Schritten anzupassen, auch wenn das bei seinen langen Beinen komisch aussah. Staub stieg in kleinen Wolken von dem schotterbestreuten Seitenstreifen des Highways auf und puderte die sorgfältig pedikürten Zehennägel, die aus ihren Sandalen herausguckten, ebenso wie seine abgewetzten, brüchigen braunen Lederstiefel.
Sein Pickup-Truck war nicht sauberer als die, die vorhin vorbeigefahren waren, und genau wie der Fremde selbst mit einer feinen Schicht Präriestaub überzogen. Unter dem matten Graubraun von Staub und Rost war nur mit Mühe eine längst verblichene, blau-weiße Lackierung zu erkennen. Motorhaube und Kotflügel waren mit Beulen übersät, aber zu Leighs Erleichterung waren nirgendwo obszöne oder zweideutige Aufkleber zu sehen.
»Halten Sie sich hier fest, bis ich die Heckklappe runtergemacht habe«, befahl der Fremde und lehnte sie an die Wagenseite. Das Metall war von der Sonne aufgeheizt und brannte sich in ihren Rücken, aber Leigh war zu erschöpft, um sich ungestützt auf den Beinen halten zu können. Der Mann wollte sich gerade umdrehen und die Verschluss- haken der Heckklappe aus den Metallösen stoßen, da kamen die Schmerzen wieder.
»Auuu!«, schrie Leigh auf und streckte instinktiv die Hand nach ihm aus.
Er machte unverzüglich kehrt. Sein Arm legte sich um ihre Schultern, und eine schwielige Hand schob sich unter ihren verkrampften Bauch und stützte ihn von unten. »Schon gut, schon gut. Ich habe keine Ahnung, was Sie jetzt machen müssen, aber machen Sie es einfach. Tun Sie sich keinen Zwang an. Ich bin da.«
Sie presste ihr Gesicht an seine Schulter und biss die Zähne zusammen. Am liebsten hätte sie ihn in die Schulter gebissen. Die Wehe war schlimmer als alle vorigen; Leigh hatte das Gefühl, bei lebendigem Leibe auseinandergerissen zu werden. Mit Tränen in den Augen wartete sie darauf, dass die unerträglichen Schmerzen endlich nachließen. Als das Ziehen schließlich schwächer wurde und sie wieder halbwegs zu sich kam, hörte sie sich wie aus weiter Ferne wimmern.
»Können Sie aufstehen?«
Sie schaute sich um und stellte fest, dass sie zu Boden gesunken war. Er hatte eine Hand unter ihren Kopf geschoben und hielt sie halb in der Schwebe, damit sie nicht auf dem harten Schotter lag. Sie nickte und ließ sich von ihm hochziehen. Er lehnte sie wieder an die Seitenwand und verschwand hinter dem Laster.
Rostige Angeln quietschten, Metall schlug auf Metall, dann war er wieder da, stützte sie und führte sie langsam an das Heck des Pritschenwagens, wo er sie vorsichtig auf die offene Ladefläche hob. Mühsam schob sie sich über das glühend heiße Metall, während er eilig eine dicke Abdeckplane über den gerippten Blechboden breitete. Der imprägnierte Stoff sah nicht allzu sauber aus, aber er war immer noch besser als der rostige, heiße Wagenboden.
»Kommen Sie«, sagte er, wobei er sie mit den Händen an der Schulter abstützte und sie vorsichtig auf die Plane sinken ließ. »Hoffentlich ist es so besser.« Es war besser. Sie seufzte erleichtert, als sie sich auf die ausgebreitete Plane legte, unter der sie immer noch das heiße, harte Boden- blech spürte. Sie war in Schweiß gebadet, und das Sommerkleid klebte ihr unangenehm am Leib.
»Wissen Sie eigentlich, wie man so was macht? Gebären, meine ich. Haben Sie vielleicht einen von diesen Kursen besucht, in denen man richtig atmen lernt und so weiter?« Er sah sie mit hochgezogenen Brauen an, als hoffte er auf ihre Hilfe.
»Ja.« Sie rang sich ein Lächeln ab. »Ich war zwar nicht so regelmäßig da, wie ich es vorgehabt hatte, aber ein paar Sachen habe ich trotzdem mitgekriegt.«
»Dann tun Sie einfach, was man Ihnen beigebracht hat«, erklärte er ernst. Er schenkte ihr ein kurzes aufmunterndes Lächeln. »Haben Sie irgendwas in Ihrem Wagen, was wir brauchen können?«
»Ich habe eine kleine Reisetasche dabei. Darin finden Sie ein Nachthemd. Und im Handschuhfach ist Kleenex. « Ihre Mutter wäre stolz auf sie, dachte Leigh in einem Anfall von Selbstironie. Seit sie denken konnte, hatte ihre Mutter ihr eingebleut, dass eine Dame immer ein paar Taschentücher bei sich haben sollte.
»Ich bin gleich wieder da.«
Er flankte über die Seitenwand der Ladepritsche. Zerstreut stellte Leigh fest, dass er sich für einen Mann seiner Größe ausgesprochen behende bewegte. Sie hörte ihn fortgehen und kniff die Augen vor der blendenden texanischen Sonne zusammen. Schweißtropfen rannen ihr über die Schläfe ins Haar, aber sie hatte nicht die Kraft, sie wegzuwischen. Vergeblich versuchte sie an den Geräuschen zu erkennen, was der Mann in ihrem Wagen machte. Hoffentlich nutzte er nicht die Gelegenheit, um sie zu bestehlen. Plötzlich wurde Leigh bewusst, dass sie weder seinen Namen kannte noch sich sein Nummernschild eingeprägt hatte. Dann spürte sie, wie er die Tür des Pickup-Trucks auf- und wieder zumachte, und öffnete die Augen.
Als der Fremde wieder in ihrem Blickfeld erschien, hatte er sich das Nachthemd wie eine römische Toga über eine Schulter geworfen. In der Hand hielt er die Kleenexschachtel und eine zusammengefaltete Zeitung. Er kniete neben ihr nieder und reichte ihr das Kleenex.
»Diese Zeitung habe ich heute Morgen gekauft. Ich habe mal im Fernsehen gesehen, wie man bei einer Notgeburt eine Zeitung benutzt hat. Das Papier soll einigermaßen steril sein. Wie dem auch sei, vielleicht möchten Sie sich ja etwas unter Ihren ... äh ... Unterleib schieben.« Er reichte ihr die gefaltete, ungelesene Zeitung, drehte sich dann sofort um und kletterte wieder von der Ladefläche.
Sie befolgte seine Anweisungen, auch wenn ihr die Situation plötzlich ziemlich peinlich war. Allerdings blieb ihr kaum Zeit zur Verlegenheit, denn ihr Bauch zog sich schon wieder unter der nächsten Wehe zusammen. Einem rettenden Engel gleich tauchte er im selben Moment wie aus heiterem Himmel wieder auf, kniete neben ihrem Kopf nieder und nahm ihre Hand.
Keuchend starrte sie auf die Uhr an seinem linken Handgelenk. Es war eine Markenuhr aus rostfreiem Stahl mit allen möglichen Anzeigen und Zeigern. Das komplizierte, teure Instrument wollte überhaupt nicht zu den schlammbespritzten Cowboystiefeln und den schmutzigen Kleidern passen. Leighs Blick wanderte von der Uhr zu den langen, schlanken Fingern, an denen, wie ihr sofort auffiel, kein Ehering zu sehen war. Wenn ihr Kind schon von einem Mann zur Welt gebracht werden sollte, der keine Ahnung von Medizin hatte, hätte es dann nicht wenigstens ein Vater sein können?
»Sind Sie verheiratet?«, presste sie zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor, als die Schmerzen abebbten, ohne allerdings ganz zu verschwinden.
»Nein.« Er setzte den Cowboyhut ab und legte ihn auf ihr Haar, so dass wenigstens ihre Augen im Schatten waren. Sein langes, dunkelbraunes Haar, das unter dem Hut zum Vorschein gekommen war, fiel ihm auf den Hemdkragen.
Plötzlich machte es sie verlegen, dass sie ihn so in Anspruch nahm. Bestimmt war ihm die Situation genauso unangenehm wie ihr. Sie sah zu seinen sagenhaft blauen Augen auf. »Das muss ja scheußlich für Sie sein. Es tut mir schrecklich leid.«
Lächelnd schob er die Hand in die hintere Tasche seiner Jeans und zog ein buntes Tuch heraus, das er sich in Piratenmanier um die Stirn knotete. Verblüfft registrierte Leigh trotz ihrer Schmerzen, wie gut der Mann aussah. Wegen der Hitze hatte er sich das Hemd bis zur Brust aufgeknöpft. Sein dunkles, lockiges Brusthaar lag wie ein feingesponnenes Netz über der dunklen Haut. »Ach was, das macht mir nichts aus. Ich hab schon Schlimmeres erlebt. « Die blauen Augen funkelten fast fröhlich, und die weißen Zähne blitzten wieder hinter den breiten, sinnlichen Lippen auf.
Er rupfte ein Tuch aus der Kleenexschachtel und tupfte damit vorsichtig die Schweißperlen von ihrer Stirn und Oberlippe. »Aber vielleicht sollten Sie sich nächstes Mal einen kühleren Tag aussuchen«, bemerkte er mit ironisch hochgezogenen Brauen. Sie musste lächeln.
»Es war Doris Day«, sagte sie.
»Wie bitte?«
»Es war ein Film mit Doris Day. James Garner war der Ehemann. Er spielte einen Geburtshelfer. Arlene Francis bekam in einem Rolls-Royce Wehen, und Doris Day half ihm, das Baby zu entbinden.«
»Ist das der Film, in dem er das Auto in den Swimmingpool fährt?«
Sie lachte, aber das versetzte ihr einen solchen Stich in den Unterleib, dass sie unwillkürlich die Augen schloss. »Ich glaube schon«, flüsterte sie.
»Wer hätte gedacht, dass ein Spielfilm so bildend sein kann?« Er wischte ihr mit dem Kleenextuch den Schweiß vom Hals und warf es dann achtlos in eine Ecke der Ladefläche.
»Wie heißen Sie eigentlich?« Es war höchste Zeit, dass sie sich einander vorstellten, fand Leigh.
»Chad Dillon, Madam.«
»Ich bin Leigh Bransom.«
»Es ist mir ein Vergnügen, Mrs. Bransom.«
Trotz ihrer Schmerzen wagte sie ein zweites, kurzes Lachen und meinte: »Das glaube ich Ihnen nicht, Mr. Dillon.«
Die nächste Wehe empfand sie als nicht ganz so schlimm, vielleicht weil Chads geschickte Hände die ganze Zeit über die harte, schmerzende Kugel streichelten, in die sich ihr Bauch unter den Kontraktionen der Gebärmutter verwandelte. Als die Wehe überstanden war, wischte er ihr wieder den Schweiß von der Stirn und sagte: »Ich glaube, es wird nicht mehr lang dauern. Zum Glück habe ich eine Thermoskanne mit Wasser in der Kabine vorne. Warten Sie einen Moment, ich wasche mir schnell die Hände.«
Er verschwand, kam mit einer großen Wasserflasche zurück und kletterte damit auf die Ladefläche. Dann streckte er die Hände über die Seitenwand der Pritsche und wusch sie sich, so gut es ging.
»Was haben Sie eigentlich heute Nachmittag gemacht?«, erkundigte sich Leigh vorsichtig. Sie rätselte, wobei er sich wohl so schmutzig gemacht hatte.
Er betrachtete kritisch seine Hände, die zwar gewaschen, aber keineswegs sauber geworden waren. »Ich habe an einem Flugzeugmotor rumgebastelt.«
Er war also Mechaniker. Komisch, eigentlich sah er gar nicht so aus.
»Sie sollten lieber Ihre Unterwäsche ausziehen.« Seine leise, fast schüchterne Stimme riss sie unvermittelt aus ihren Gedanken.
Leigh spürte, wie sie errötete, und schloss verschämt die Augen. Wenn Chad wenigstens nicht so attraktiv wäre...
»Jetzt ist wirklich nicht der geeignete Moment, sich zu genieren. Wir müssen das Baby hier zur Welt bringen.« Sie glaubte, aufrichtiges Mitgefühl aus seiner Stimme zu hören, und machte die Augen wieder auf.
»Es tut mir leid«, murmelte sie und zog ihr Kleid hoch. Sie hatte heute Morgen im Radio gehört, dass es heiß werden sollte und sich deshalb weder ein Unterhemd noch einen BH angezogen, so dass sie sich jetzt nur das Höschen auszuziehen brauchte. Mühsam zerrte sie es sich über die Schenkel, bis Chad ihr zu Hilfe kam. Er streifte den Slip über ihre Beine und über die Sandalen an ihren Füßen.
»Möchten Sie nicht lieber die Schuhe ausziehen?«, fragte er.
»Nein. Die stören nicht ... Chad.« Die Antwort endete in einem Schrei, als sie vollkommen unvorbereitet die nächste Wehe überkam.
Sofort kniete er zwischen ihren angewinkelten Beinen nieder. Obwohl die Schmerzen jetzt so stark waren, dass Leigh Angst hatte, in Ohnmacht zu fallen, spürte sie, wie ihr schon wieder das Blut in den Kopf schoss. Da lag sie nun mitten in der Wüste hinten auf einem Pickup-Truck und ließ sich von einem Fremden zwischen die Beine schauen. Sie fühlte, wie seine Finger ihre Schenkel auseinanderdrückten, bevor sich ihre Bauchdecke in einem so schmerzhaften Krampf zusammenzog, dass ihr die Luft wegblieb.
»Ich glaube, ich kann schon den Kopf sehen«, rief er plötzlich erleichtert und sichtlich aufgeregt aus. Damit hatte sie nicht gerechnet. War es möglich, dass das Kind so schnell kam? Aber sie hatte keine Wahl, als sich auf seine Auskunft zu verlassen. »Sollten Sie jetzt nicht pressen ... oder so? Was kommt jetzt?« Er hockte immer noch zwischen ihren Beinen, vermied es aber, ihr ins Gesicht zu sehen. Auch wenn sie nicht wusste, ob er das aus Einfühlung oder eher aus Verlegenheit tat, war sie ihm dankbar dafür.
Sie rief sich die Unterweisungen ihrer Kursleiterin ins Gedächtnis und presste, so fest sie konnte. »Genau so«, ermunterte er sie. »Sie machen das ganz ausgezeichnet, Madam.« Seine tiefe, ruhige Stimme war wie Balsam für ihr gepeinigtes Innere. Jetzt spürte sie selbst, wie ihr Geburtskanal von dem weiterdrängenden Ungeborenen ausgefüllt wurde.
»Wir haben es gleich geschafft, Leigh«, redete er ihr gut zu, während er sich vorbeugte und ihr mit einem neuen Kleenextuch den Schweiß abwischte. Das Tuch, das er sich um die Stirn gebunden hatte, war ebenfalls schweiß durchtränkt. Er sah ihr für den Bruchteil einer Sekunde in die Augen und wischte sich dann mit dem Handrücken über die dichten Brauen. Das Haar auf seiner Brust glitzerte feucht.
Als die Wehen für einen Moment nachließen, stand er auf, schob eine Hand in die enge Hosentasche und zog ein Taschenmesser heraus. Mit der anderen Hand packte er die Thermosflasche, wusch die Klinge sauber und nahm dann ihr Nachthemd, das er neben sich auf die Plane gelegt hatte. Mit einer knappen Bewegung trennte er einen Träger ab. »Sie sind ganz schön zäh, wissen Sie das?«, bemerkte er, während er sich wieder zwischen ihre Beine kniete. »Die meisten Frauen würden in so einer Situation heulen und jammern. Sie sind die tapferste Frau, die mir je begegnet ist.«
Nein, nein, das bin ich nicht!, schrie es in ihr. Das durfte er nicht glauben. Sie war keineswegs tapfer. Sie musste ihm verraten, wie feige sie war. Aber bevor sie ein Wort herausgebracht hatte, fuhr er fort: »Ihr Mann wird bestimmt stolz auf Sie sein.«
»Ich ... ich habe keinen Mann«, presste sie mit letzter Kraft hervor, weil bereits die nächste Wehe einsetzte. Unwillkürlich krümmte sie sich unter den Schmerzen zusammen.
Verdutzt starrte Chad sie an, bis ihn ihr schmerzverzerrtes Gesicht aus seinen Gedanken riss. Sofort konzentrierte er sich wieder auf das Geschehen zwischen ihren Schenkeln. Der Schmerz ließ einen kurzen Moment nach, so dass Leigh ihn ansehen konnte. Im selben Augenblick hellte sich seine Miene erfreut auf. »Ja, so ist es gut«, spornte er sie an, ohne sie anzusehen. »Genau so. Pressen Sie kräftig weiter. Noch fester!« Sie befolgte seine Anweisung und spürte, wie das ungeborene Baby ins Rutschen kam. »Der Kopf ist draußen«, rief er lachend.
Sie merkte, wie der Druck in ihrem Unterleib langsam nachließ, und sank erschöpft auf das harte Blech der Ladefläche zurück.
»Kommen Sie, Leigh, Sie machen das ganz wunderbar.« Er tätschelte ihr aufmunternd den Schenkel. »Sie dürfen jetzt nicht aufhören. Wir müssen das Kleine ganz rausholen. Pressen, pressen, ja, so! Da! O Gott!«, schrie er, als er das glitschige Neugeborene mit seinen Händen auffing, das kurz darauf zu schreien anfing. Lächelnd sah er zu ihr auf. Seine Augen leuchteten glücklich. »Soll ich Ihnen sagen, was Sie da bekommen haben?«
Sie lächelte erschöpft und nickte.
»Ein wunderschönes kleines Mädchen.«
Freudentränen rannen Leigh über die Wangen, als sie den Mann ansah, der zwischen ihren Beinen kniete und sie anstrahlte. »Zeigen Sie sie mir«, hauchte sie schwach. »Ist sie gesund?«
»Sie ist ... vollkommen«, erklärte er knapp. »Einen Moment noch. Ich muss mich erst um die Nabelschnur kümmern. « Sie spürte, wie winzige Fäuste und Füße gegen ihr Fleisch trommelten, als er das Kind vorübergehend zwischen ihren Schenkeln ablegte. »Wie geht es Ihnen?«, fragte er nach einem Augenblick ängstlich. Er schaute nicht auf, sondern konzentrierte sich ganz auf seine Arbeit. Eine Schweißperle baumelte an der Spitze seiner scharf geschnittenen Nase.
»Ich fühle mich großartig«, antwortete sie schläfrig. Zu ihrer eigenen Überraschung war das nicht einmal gelogen.
Ihr tat zwar immer noch alles weh, aber sie fühlte sich wie berauscht vor Glück.
»Das sind Sie auch. Sie sind großartig.«
Er war immer noch nicht mit der Abtrennung der Nabelschnur fertig. Mit dem Hemdsärmel wischte er sich den Schweiß vom Gesicht. Schließlich hob er das rote, nasse, verschrumpelte, zappelnde, schreiende Neugeborene hoch und legte es Leigh behutsam auf die Brust.
»O Chad. Schauen Sie sie nur an. Ist sie nicht wunderschön? « Sie spürte, wie ihr neue Tränen in die Augen traten.
»Ja.« Seine Stimme klang plötzlich rau.
Der liebevolle Blick, mit dem sie ihr Baby betrachtete, wurde plötzlich von neuen Schmerzen überschattet.
Leigh spürte ein stärker werdendes Ziehen und hielt ängstlich die Luft an. Doch diesmal war der Schmerz wesentlich schwächer. Kurz darauf verwandelte sich das Ziehen in ein sachtes Zupfen, dann löste sich der Muskelkrampf in nichts auf.
»So. Fühlen Sie sich jetzt besser?« Chad wickelte die Nachgeburt in die Zeitung, die er unter ihren Unterleib gebreitet hatte.
»Ja.«
Er nahm wieder das Nachthemd, durchtrennte mit dem Messer den Saum und riss es in lange Streifen. Das Baby maunzte an der Brust seiner Mutter. Leigh hatte die Hitze vollkommen vergessen, die ihr vorhin so zu schaffen gemacht hatte. Sie spürte nur noch das zappelnde Bündel in ihren Armen. Behutsam untersuchte sie den feuchten, glitschigen Babyleib. Sie zählte die Zehen und Finger. Sie küsste die pochende Fontanelle auf dem noch leicht verschobenen Kopf ihrer Tochter. Ihrer Tochter! Die Vorstellung, dass dieses winzige, perfekte kleine Mädchen aus ihrem Körper gekommen war, erfüllte Leigh mit Ehrfurcht und unbeschreiblichem Stolz.
Inzwischen hatte Chad das Nachthemd zu einem Verbandspolster umgearbeitet, das er nun zwischen ihre Schenkel presste. Mit dem zuvor abgetrennten Träger band er es um ihre Taille fest.
»Komisch, plötzlich wieder einen flachen Bauch zu haben. « Sie seufzte.
Er lachte leise. »Das kann ich mir vorstellen. Fühlen Sie sich sehr schlecht?«
Erst jetzt bemerkte sie die pochenden Schmerzen in ihrem Unterleib. Sie fühlte sich wie ausgewrungen, und der Blutverlust hatte sie geschwächt. Nun machte ihr auch wieder die heiß brennende Sonne zu schaffen. »Nein«, antwortete sie, aber ihr war klar, dass ihm ihr Zögern nicht entgangen war. Bestimmt wusste er, dass sie gelogen hatte.
»Sie müssen beide ins Krankenhaus«, sagte er wie zu sich selbst.
Er zog ihr das Kleid wieder über die Beine und reichte ihr verlegen das Höschen, das er ihr vorhin ausgezogen hatte. »Wenn Sie das Baby tragen, trage ich Sie«, schlug er vor.
Sie nickte bloß und fasste das Baby fester, dann zog er sie mitsamt der Abdeckplane, auf der sie lag, in Richtung Heckklappe. Als sie kein Metall mehr unter den Füßen spürte, fasste er sie mit einer Hand unter den Knien, mit der anderen unter ihren Schultern und hob sie von der Ladefläche.
Mit langen Schritten eilte er auf ihren Wagen zu. Ohne Leigh abzusetzen, ging er kurz in die Knie und zog die Tür auf der Beifahrerseite auf. Ängstlich drückte sie das Baby an ihre Brust. Die Hitze, die sich im Wageninnern aufgestaut hatte, traf sie wie ein Faustschlag. Vorsichtig setzte Chad sie auf dem Sitz ab, dann rannte er um den Wagen herum und ließ den Motor an. »Die Klimaanlage ist eingeschaltet, es wird also gleich kühler werden. Ich würde Sie ja in meinem Wagen fahren, aber Ihrer ist besser gefedert. Außerdem ist der Truck voll Schrott.«
»Mir ist das nur recht, aber wie wollen Sie zu Ihrem Wagen zurückkommen?« So dankbar ihm Leigh für seine Hilfe auch war, es war ihr peinlich, dass er sich ihretwegen so viele Umstände machte.
Er winkte lässig ab, als würde er jeden zweiten Tag ein Kind entbinden und eine Frau vierzig Meilen durch die Wüste kutschieren. »Machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Ich muss ihn nur schnell abschließen.«
Kurz darauf war er wieder da. Er rutschte den Fahrersitz bis zum Anschlag zurück, um seine langen Beine in dem engen Schacht unter dem Lenkrad des Kleinwagens unterzubringen. »Hat der Wagen Liegesitze?«, fragte er, während er den Rückspiegel einstellte.
»Ja.«
»Ich glaube, das wäre für Sie bequemer.«
Er beugte sich über sie und das Baby und stellte die Rückenlehne zurück. Als die Lehne in halb liegender Position war, ließ sie sich vorsichtig zurücksinken, gestützt von seiner starken Hand. Das Baby zappelte kurz in ihren Armen, als wollte es sich es in der neuen Lage gemütlich machen.
»Angenehmer so?«
»Viel besser«, antwortete sie wahrheitsgemäß.
Als er sich davon überzeugt hatte, dass sie so bequem wie möglich lagen, nahm er seine Sonnenbrille von der Ablage hinter dem Lenkrad und setzte sie sich wieder auf. Den Cowboyhut hatte er auf der Ladefläche seines Wagens vergessen, trotzdem streifte er sich das Stirntuch ab und knöpfte sein Hemd bis auf den obersten Knopf zu. Dann schnallte er sich an und hatte eben den Gang eingelegt, als ihr etwas einfiel.
»Chad, können Sie mir bitte meine Tasche reichen? Ich glaube, ich sollte sie zudecken.«
»Klar«, sagte er mit einem kurzen Blick auf das nackte Neugeborene. Er stellte den Motor ab, drehte sich nach hinten und hob die kleine Reisetasche auf den Vordersitz. »Alles bereit? Sind Sie wohlauf?«
Sie lächelte ihn an. »Mir geht es gut.«
Er erwiderte ihr Lächeln und schien etwas sagen zu wollen, überlegte es sich aber anders. Er drehte sich wieder nach vorn, legte den Gang von neuem ein und lenkte den kleinen Wagen auf den verlassenen Highway. Das Auto rumpelte über den schotterbedeckten Seitenstreifen auf das Straßenpflaster. Leigh musste die Zähne zusammenbeißen; sie hatte das Gefühl, als würden ihr gleich sämtliche Eingeweide aus dem Leib purzeln.
Obgleich er sie nicht angesehen hatte, bemerkte er ihr Unwohlsein und sagte mitfühlend: »Es tut mir leid. Ich weiß, dass das wehtut, aber Sie scheinen nicht allzu viel Blut verloren zu haben. Ich glaube, Sie werden sich schnell erholen, wenn Sie erst in Behandlung sind.«
Leigh kramte in der Reisetasche herum, die er zwischen den beiden Vordersitzen abgestellt hatte. Das war keine leichte Aufgabe, da sie in ihrer Position nur mit Mühe in die Tasche schauen konnte und immer darauf achten musste, dass ihr das Baby nicht aus dem Arm rutschte. Schließlich förderte sie ein altes, bequemes, weiches T-Shirt zutage. »Zum Glück habe ich die Sachen mitgenommen«, bemerkte sie geistesabwesend, während sie das Baby darin einwickelte und es dann an ihre Brust drückte.
Er warf ihr einen kurzen Seitenblick zu, nahm dann mit einer Hand die Reisetasche und beförderte sie wieder nach hinten. »Wo sind Sie eigentlich hergekommen, oder wo wollten Sie hin?«
»Ich war in Abilene. Eine Freundin vom College hat gestern Abend geheiratet. Auf der Hochzeit wollte ich mein einziges schönes Umstandskleid tragen«, sagte sie und deutete nach hinten. An dem Haltegriff neben den Rücksitzen hing ein Plastikkleidersatz über einem Bügel. »Ich wollte über Nacht bleiben, weil wir uns eine Ewigkeit nicht mehr gesehen hatten, und habe daher einige Sachen eingepackt.«
Lächelnd warf er einen Blick auf das orangene T-Shirt, in das sie das Baby eingehüllt hatte. Sie hatte den Stoff so um die Kleine gewickelt, dass die Aufschrift »University of Texas« zu lesen war. »Das war Vorhersehung.« Dichte Brauen senkten sich über seine strahlenden Augen, dann drehte er kurz den Kopf und warf ihr einen tadelnden Blick zu. »Es war Wahnsinn, so mutterseelenallein durch die Gegend zu fahren. Auf welchen Tag sollte die Niederkunft denn fallen?«
»Das Kind sollte erst in zwei Wochen kommen. Aber Sie haben recht.« Sie lächelte reumütig. »Ich habe das Schicksal wirklich herausgefordert. Ich wollte unbedingt zu der Hochzeitsfeier und hatte niemanden, der mich fahren konnte, deshalb ...« sie ließ den Satz unvollendet und zuckte mit den Achseln. Dann schaute sie liebevoll auf das Kind, das schlafend an ihrer Brust lag. Offenbar war die Geburt für das Baby genauso anstrengend gewesen wie für sie.
»Wenn Sie schon allein durch die verlassene Gegend fahren mussten, warum sind Sie nicht auf der Interstate 20 geblieben? Die führt doch direkt von Abilene nach Midland. « Er schüttelte verständnislos den Kopf. »Ihre Route war nicht nur gefährlicher, sondern auch wesentlich länger. Auf der Interstate hätte Ihnen bestimmt schneller jemand geholfen.«
Schuldbewusst senkte sie den Kopf. Er hatte recht. In der Dreiviertelstunde, bevor er aufgetaucht war, hatte sie sich selbst für ihre Sturheit verflucht. »Ich habe noch eine Freundin heimgefahren«, gestand sie kleinlaut. »Sie lebt in Tarzan. Eine Stadt mit dem Namen Tarzan, Texas, musste ich einfach sehen. Die Schmerzen haben erst eingesetzt, als ich schon wieder unterwegs war. Wie gesagt, zuerst dachte ich, ich hätte mir den Magen verdorben.«
Sie war auf eine weitere Rüge gefasst, doch zu ihrer Überraschung wiederholte er nur leise »den Magen verdorben « und lachte dann kopfschüttelnd.
Sie schaute auf ihre Tochter hinunter, die soeben aufgewacht war und sofort mitleiderregend zu maunzen begann. »Ich hoffe nur, dass dem Baby nichts passiert ist.«
»Ihre Lunge ist jedenfalls in Ordnung«, stellte Chad grinsend fest.
Obwohl Leigh alles Mögliche versuchte, um sie zu beruhigen, wurde die Kleine immer ungehaltener. Innerhalb weniger Minuten lief das winzige Gesichtchen zornrot an. Leigh fürchtete, dass Chad das schreiende Baby irritieren könnte, und schaute ängstlich aus dem Augenwinkel zu ihm hinüber. Er beachtete sie gar nicht, sondern konzentrierte sich ganz auf das Fahren, was allerdings nicht schwer war, da außer ihnen weit und breit kein Auto zu sehen war. Was wäre wohl passiert, wenn Chad nicht zufällig vorbeigekommen wäre?, fragte sich Leigh, während sie das Kind in den Armen wiegte und mit dem Zeigefinger über seine Wange strich. Das Baby beruhigte sich allmählich und schlief wieder ein, wenn auch nur kurz.
Sie waren immer noch zwanzig Meilen von Midland entfernt, als das Baby wieder aufwachte und erneut zu quengeln begann. Diesmal ließ es sich nicht durch Streicheln besänftigen. Allen Beruhigungsversuchen zum Trotz begann es jämmerlich zu weinen, bis Leigh schließlich vollkommen ratlos war. Sie schaute Chad an, der ihren besorgten Blick auffing. Ohne Umschweife bremste er den Wagen ab und hielt mitten auf dem Highway an. In beiden Richtungen war bis zum Horizont kein anderes Auto zu sehen.
»Was soll ich nun machen?«, fragte Leigh unsicher und ohne wirklich mit einer Antwort zu rechnen. Was wusste dieser Mann schon von Babys? Er war ja nicht einmal verheiratet. Trotzdem kam es ihr eigenartig selbstverständlich vor, ihn um Rat zu fragen.
Er rieb sich verlegen mit der Hand über den Nacken und schob sich dann eine lose Haarsträhne aus der Stirn, die jetzt von tiefen Falten gezeichnet war. »Ich weiß nicht. Vielleicht sollten Sie ... äh ... sie stillen ...«
Leigh war froh, dass die Sonne bereits unterging und alles in orangenes Licht tauchte. Vielleicht fiel ihm ja nicht auf, wie rot sie plötzlich geworden war. Sie musste sich räuspern, ehe sie ihm antwortete. »Aber ich werde ein paar Tage lang ... keine Milch haben.«
»Ich weiß, aber vielleicht sucht sie ... instinktiv nach ... äh ... Nähe.« Er zuckte mit den Achseln.
Leigh wusste, dass er recht hatte, trotzdem war es ihr peinlich, das Baby in seiner Gegenwart an ihre Brust zu legen. Sie wusste, dass das albern war - schließlich hatte er ihr in einem Moment Beistand geleistet, der wohl intimer war als jeder andere -, aber nichtsdestotrotz war es ihr unangenehm, dass er jetzt auch noch ihre Brust sehen sollte. Unschlüssig schaute sie auf ihre Tochter hinab.
Das Baby brüllte jetzt. Vor Wut traten ihm winzige blaue Äderchen auf die Stirn, während es mit den Fäusten fest auf die Mutter eintrommelte. Chad spürte Leighs Unsicherheit und nahm ihr die Entscheidung ab, indem er seine Hand über die Rückenlehne ihres Sitzes streckte und den Knoten am Träger ihres Sommerkleides löste. Sie senkte verlegen den Kopf, schüttelte den Stoff ab und schob ihn tiefer, bis eine Brust freilag. Sie fasste sie und hielt sie ihrer Tochter vor das zornige Gesicht. Mit überraschender Zielsicherheit fand der kleine Mund die mütterliche Brustwarze und begann, gierig daran zu nuckeln.
Spontan brachen Leigh und Chad in Lachen aus, was dem Moment die Peinlichkeit nahm, und Leigh entspannte sich wieder. Eine Weile beobachteten sie beide liebevoll das emsig saugende und lautstark schmatzende Baby. Doch als Leigh Chad schließlich in die Augen sah, schaute er nicht mehr das Kind an, sondern sie. Und sein Blick brachte Leigh augenblicklich zum Verstummen.
»Mutter zu sein steht Ihnen gut, Leigh«, bemerkte er leise und mit seltsam rauer Stimme. »Mit Ihren kastanienbraunen Locken, den blaugrauen Augen, die einen an Gewitterwolken denken lassen, diesem Mund, der so weich und zart scheint wie der von Ihrem Kind - und vor allem Ihrem Blick, wenn Sie Ihr Kind anschauen -, erinnern Sie mich an eine Madonna auf einem italienischen Gemälde des fünfzehnten Jahrhunderts. Nur dass Sie echt sind.« Unverwandt schaute er sie an, als wollte er sich ihr Gesicht für alle Zeiten einprägen.
Leigh erwiderte seinen Blick und musterte ihn genauso eindringlich. Wie hatte sie sich vor diesem sensiblen, einfühlsamen Mann nur fürchten können? Zuerst hatte sie nur seine schmutzigen Kleider und sein verschwitztes, bartstoppliges Gesicht gesehen. Jetzt dagegen sah sie vor allem, wie gütig und freundlich seine Augen leuchteten. Seine Hände waren von Schwielen überzogen, aber sie kamen ihr sicher und stark und zärtlich zugleich vor. Plötzlich musste sie daran denken, dass er sie mit diesen rauen, liebevollen Händen berührt hatte. Beschämt senkte sie die dunklen Wimpern wie einen schützenden Vorhang vor ihre Augen.
Während sie ihrer Tochter beim Trinken zuschaute, sah sie, wie sich Chads Hand langsam auf das Baby zubewegte. Unwillkürlich hielt sie den Atem an. Sein langer, gerader Zeigefinger berührte ihre Tochter an der Wange und streichelte sie. Leigh glaubte beinahe, die Liebkosung an ihrer Brust zu spüren.
»Wie soll sie heißen?« Seine Stimme war immer noch tief und warmherzig, aber nicht mehr ganz so rau wie noch vor wenigen Sekunden.
»Sarah«, antwortete sie, ohne zu zögern.
»Ein schöner Name.« Zärtlich fuhr er mit der Fingerspitze über die Wange der Kleinen.
»Wirklich?«, fragte sie und sah ihn an. »So hieß meine Schwiegermutter.«
Seine Hand zuckte zurück, als hätte er sich verbrannt. »Ich dachte, Sie wären nicht verheiratet.« Leigh versuchte aus seinem Blick zu lesen, was er jetzt dachte, aber plötzlich war seine Miene undurchdringlich, so als hätte er sich vor ihr verschlossen.
»Das bin ich auch nicht. Nicht mehr. Mein Mann ist umgekommen.«
Er sah sie kurz an, dann drehte er sich nach vorn. Eine volle Minute lang starrte er durch die Windschutzscheibe in die untergehende Sonne, die als riesiger roter Ball über dem Highway hing. Ein Wagen kam vom Horizont her auf sie zu, wurde langsam größer und fuhr dann laut hupend an ihnen vorbei. »Mein Beileid«, sagte Chad schließlich. »Ist das schon lange her?«
»Acht Monate. Er wusste nicht einmal, dass ich schwanger war. Er war bei der Drogenfahndung und wurde bei einem Einsatz erschossen.« Leigh sprach nicht gern über den Tod ihres Mannes. Die Erinnerung daran tat ihr zu weh. Doch sie glaubte, Chad wenigstens eine knappe Erklärung schuldig zu sein.
Chad zischte einen kaum hörbaren Fluch, drehte sich wieder zu ihr um und schaute auf das Baby. Die Kleine schlief, nuckelte nur ab und zu mit ihrem Rosenknospenmund an Leighs Brustwarze. Leighs Brust begann zu prickeln, als sie seinen Blick darauf bemerkte. Sie spürte, dass sie schon wieder rot wurde. »Ich glaube, Sie sind beide etwas ganz Besonderes«, murmelte Chad. Dann legte er den Gang ein und fuhr los.
Offenbar war Leigh kurz darauf eingenickt. Das Nächste, was sie mitbekam, war, dass Chad zur Notaufnahme des Krankenhauses einbog. Sie brauchte ein paar Sekunden, ehe sie den gepflegten Rasen vor dem weißen Bau, die Büsche, hinter denen die Eingangstür verborgen lag, und den Parkplatz neben dem Haus wiedererkannte. Chad hupte ausdauernd, während er das Auto die betonierte Auffahrt hinauflenkte, hielt dann den Wagen unter dem Vordach an und stellte den Motor ab. Dann drehte er sich zu Leigh um und hob vorsichtig das Kind hoch. »Sie sollten sich jetzt besser wieder anziehen«, bemerkte er. Hastig und noch halb verschlafen knotete sie den Schulterträger wieder fest. Sarah war ebenfalls aufgewacht und begann wieder zu zappeln. Chad lächelte das Baby an und reichte Leigh die Kleine wieder. »Warten Sie hier«, befahl er knapp.
Nun lernte sie einen ganz anderen Chad kennen. Wie ein General kommandierte er die Pfleger und Schwestern, die, von seinem Hupen aufgeschreckt, aus dem Bau he rausgelaufen kamen. Die Wagentür wurde aufgezogen, und hilfreiche Hände nahmen Leigh das Baby ab. Ein kräftiger schwarzer Pfleger half ihr beim Aussteigen und hob sie zusammen mit seinem weißen Kollegen auf eine fahrbare Bahre. Sie spürte, wie sie festgeschnallt wurde, sah sich nach Sarah um und fragte sich halb benommen, wohin man ihre Tochter gebracht hatte und wo Chad hingegangen war. Die automatischen Türen der Notaufnahme glitten zischend auf, dann wurde es schlagartig kühl, und Neon leuchten zogen in regelmäßigem Abstand über Leigh hinweg. Noch bevor sie den Behandlungsraum erreicht hatten, wurde ihr schwindlig und übel. Sie wurde auf einen Untersuchungstisch gelegt, dann spürte sie, wie ihre Beine in kalte Metallschienen gehoben wurden.
Wo war ihr Baby? Sie hatte Schmerzen. Klebte da Blut an ihren Schenkeln? Woher wussten die Leute ihren Namen? Die Pfleger verschwanden aus ihrem Blickfeld, ein paar neue Gesichter erschienen. Der große Operationsscheinwerfer über ihr leuchtete auf, die Gesichter hatten jetzt Schutzmasken vor Mund und Nase und Hauben auf dem Kopf. Das Abtasten und Untersuchen tat weh. Wer war dieser Arzt, der ihr immerzu erklärte, sie bräuchte sich keine Sorgen zu machen? Würden sie ihr eine Spritze geben?
Und wo war Chad?
Chad ...
»Leigh?«
Copyright © 1. Auflage Taschenbuchausgabe Oktober 2013 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Als hätte er ihre Gedanken erraten, nahm der Fremde die Brille ab und ließ Leigh in die blauesten Augen sehen, die ihr jemals begegnet waren. Der Blick, mit dem seine Augen sie anschauten, wirkte nicht im Geringsten bedrohlich, und Leigh spürte, wie sich die eiskalte Faust, die sich um ihr Herz geschlossen hatte, ein kleines bisschen öffnete. Auch wenn dieser Kerl offenbar schon länger kein Wasser mehr gesehen hatte, sah er nicht so aus, als würde er die Situation ausnutzen.
»Ich tu Ihnen nichts, Madam. Ich wollte nur fragen, ob ich Ihnen irgendwie helfen kann.« Leigh fand seine tiefe, weiche Stimme - genau wie seine Augen - vertrauenswürdig, ohne dass sie hätte sagen können, warum.
In diesem Moment kamen die Schmerzen wieder. Sie strahlten von ihrem Rückgrat aus, zogen sich um ihren Bauch und sammelten sich in ihrem Unterleib. Leigh zog die Unterlippe zwischen die Zähne, um sich den Schrei zu verbeißen, der durch ihre Kehle drängte, und krümmte sich immer weiter zusammen, bis sie erneut mit dem Kopf auf das Lenkrad schlug.
»Mein Gott«, hörte sie ihn erschrocken sagen, dann wurde die Tür aufgerissen. Der Mann warf einen Blick auf ihren unförmigen Bauch und pfiff leise durch die Zähne. »Was in aller Welt tun Sie in Ihrem Zustand so allein hier draußen?«, fragte er. Ohne ihre Antwort abzuwarten - zu der sie ohnehin nicht fähig gewesen wäre -, warf er die Brille auf das Armaturenbrett hinter dem Steuer.
Leigh keuchte und versuchte, die Sekunden zu zählen, bis die Wehe vorüber war. Offenbar hatte er die Frage rein rhetorisch gemeint, denn er legte ihr ohne jeden weiteren Kommentar eine Hand auf die Schulter. Sie fühlte sich heiß und trocken auf ihrer kühlen, schweißnassen Haut an.
»Ganz ruhig, okay? Ganz ruhig. Besser?«, fragte er, als die Wehe endlich vorüber war und sie sich stöhnend in den Sitz zurücksinken ließ.
»Ja«, hauchte sie. Sie schloss die Augen, um neue Kraft zu schöpfen und trotz ihrer Wehen einen letzten Rest an Würde zu bewahren. »Danke«.
»Unsinn, ich habe doch gar nichts gemacht. Wie kann ich Ihnen helfen? Wohin wollten Sie denn?«
»Nach Midland.«
»Ich auch. Soll ich Sie hinfahren?«
Sie öffnete die Augen einen Spaltbreit und musterte ihn schnell und argwöhnisch. Er war zwischen ihr und der offenen Wagentür in die Hocke gegangen. Eine kräftige, braune Hand lag auf dem grauen Sitzpolster des Fahrersitzes, die andere auf dem Steuer ihres Kleinwagens. Jetzt, ohne die irritierende Sonnenbrille, konnte sie so tief in diese unbeschreiblich blauen Augen blicken, dass sie fast darin zu ertrinken glaubte. Wenn es stimmte, dass die Augen ein Fenster zur Seele waren, dann konnte Leigh diesem Mann vertrauen.
Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen. »Wahrscheinlich ... wahrscheinlich wäre es das Beste.«
Er schaute kurz über seine Schulter nach hinten. »Ich glaube, wir sollten lieber Ihren Wagen nehmen und meinen hierlassen. Das ist - o Gott, kommt schon wieder eine?«
Sie hatte die Wehe kommen gespürt, noch bevor der Schmerz einsetzte. Mit aller Kraft presste sie die Hände gegen ihren gespannten Bauch und versuchte gleichzeitig, sich auf ihren Atem zu konzentrieren und sich zu entspannen. Leigh hatte das Gefühl, dass diese Wehe länger dauerte als alle vorigen. Als sie schließlich überstanden war, sank sie japsend in den Sitz zurück.
»Madam, es sind noch mindestens vierzig Meilen bis Midland. Das schaffen wir nie im Leben. Wie lange haben Sie denn schon Wehen?« Er wirkte zwar besorgt, aber keineswegs ängstlich. Seine Stimme klang ruhig und bedächtig.
»Ich habe vor einer Dreiviertelstunde angehalten.« Sie hatte die Augen geschlossen. Die Andeutung eines Lächelns huschte über ihr schweißnasses Gesicht. »Schmerzen habe ich allerdings schon länger. Zuerst habe ich gedacht, ich hätte mir nur den Magen verdorben.« Sie öffnete die Augen wieder und sah ihn an.
Er lächelte leicht, und ihr fielen die kleinen Lachfältchen rings um diese atemberaubenden Augen auf. »Und niemand hat angehalten, um Ihnen zu helfen?«
Sie schüttelte den Kopf. »In der ganzen Zeit sind nur zwei Wagen vorbeigekommen, doch sie haben nicht angehalten. « Im Grunde war sie froh darüber gewesen. Die beiden klapprigen, rostigen Pritschenwagen hatten nicht so ausgesehen, als würden sie von besonders zuverlässigen Menschen gefahren.
Er maß mit den Augen das Wageninnere ab, als wollte er den Platz abschätzen. »Glauben Sie, dass Sie ein paar Schritte gehen können? Wenn nicht, trage ich Sie.«
Gehen? Sie tragen? Wohin wollte er mit ihr? Er las die Frage aus ihrem ängstlichen Blick. »Sie können sich auf die Ladefläche meines Wagens legen. Es ist zwar nicht gerade ein Kreißsaal, aber ich glaube nicht, dass sich das Baby daran stören wird.«
Diesmal lächelte er wirklich. Die Lachfalten wurden deutlicher, vertieften sich und schimmerten hell in der ansonsten sonnengebräunten Haut. Regelmäßige Zähne blitzten weiß in dem kupferfarbenen Gesicht. Leigh ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie unter anderen Umständen, auf einer Party etwa, das Gesicht geradezu entwaffnend attraktiv gefunden hätte.
»Ich glaube schon, dass ich gehen kann«, sagte sie und zog langsam die Beine unter dem Lenkrad hervor. Sofort stand er auf und trat zur Seite, um ihr Platz zu machen. Mühsam stemmte sie sich aus dem tiefen Autositz hoch. Er bemerkte, wie schwer ihr die Anstrengung fiel, beugte sich zu ihr herab und schob einen festen, kräftigen Arm unter ihre Achseln. Dankbar stützte sie sich auf ihn und ließ sich hochziehen.
Mit vorsichtigen, kleinen Schritten gingen sie langsam zum Wagenheck. Die stickige Luft rollte in heißen Wellen von der westtexanischen Ebene heran. Jeder Atemzug kostete Leigh Überwindung. »Stützen Sie sich auf mich. Wir haben es gleich geschafft.« Sein Atem streifte ihre Wange.
Damit sie sich ganz auf das Gehen konzentrieren konnte, senkte sie den Blick und schaute auf ihre Füße. Er gab sich Mühe, sich ihren kleinen, unsicheren Schritten anzupassen, auch wenn das bei seinen langen Beinen komisch aussah. Staub stieg in kleinen Wolken von dem schotterbestreuten Seitenstreifen des Highways auf und puderte die sorgfältig pedikürten Zehennägel, die aus ihren Sandalen herausguckten, ebenso wie seine abgewetzten, brüchigen braunen Lederstiefel.
Sein Pickup-Truck war nicht sauberer als die, die vorhin vorbeigefahren waren, und genau wie der Fremde selbst mit einer feinen Schicht Präriestaub überzogen. Unter dem matten Graubraun von Staub und Rost war nur mit Mühe eine längst verblichene, blau-weiße Lackierung zu erkennen. Motorhaube und Kotflügel waren mit Beulen übersät, aber zu Leighs Erleichterung waren nirgendwo obszöne oder zweideutige Aufkleber zu sehen.
»Halten Sie sich hier fest, bis ich die Heckklappe runtergemacht habe«, befahl der Fremde und lehnte sie an die Wagenseite. Das Metall war von der Sonne aufgeheizt und brannte sich in ihren Rücken, aber Leigh war zu erschöpft, um sich ungestützt auf den Beinen halten zu können. Der Mann wollte sich gerade umdrehen und die Verschluss- haken der Heckklappe aus den Metallösen stoßen, da kamen die Schmerzen wieder.
»Auuu!«, schrie Leigh auf und streckte instinktiv die Hand nach ihm aus.
Er machte unverzüglich kehrt. Sein Arm legte sich um ihre Schultern, und eine schwielige Hand schob sich unter ihren verkrampften Bauch und stützte ihn von unten. »Schon gut, schon gut. Ich habe keine Ahnung, was Sie jetzt machen müssen, aber machen Sie es einfach. Tun Sie sich keinen Zwang an. Ich bin da.«
Sie presste ihr Gesicht an seine Schulter und biss die Zähne zusammen. Am liebsten hätte sie ihn in die Schulter gebissen. Die Wehe war schlimmer als alle vorigen; Leigh hatte das Gefühl, bei lebendigem Leibe auseinandergerissen zu werden. Mit Tränen in den Augen wartete sie darauf, dass die unerträglichen Schmerzen endlich nachließen. Als das Ziehen schließlich schwächer wurde und sie wieder halbwegs zu sich kam, hörte sie sich wie aus weiter Ferne wimmern.
»Können Sie aufstehen?«
Sie schaute sich um und stellte fest, dass sie zu Boden gesunken war. Er hatte eine Hand unter ihren Kopf geschoben und hielt sie halb in der Schwebe, damit sie nicht auf dem harten Schotter lag. Sie nickte und ließ sich von ihm hochziehen. Er lehnte sie wieder an die Seitenwand und verschwand hinter dem Laster.
Rostige Angeln quietschten, Metall schlug auf Metall, dann war er wieder da, stützte sie und führte sie langsam an das Heck des Pritschenwagens, wo er sie vorsichtig auf die offene Ladefläche hob. Mühsam schob sie sich über das glühend heiße Metall, während er eilig eine dicke Abdeckplane über den gerippten Blechboden breitete. Der imprägnierte Stoff sah nicht allzu sauber aus, aber er war immer noch besser als der rostige, heiße Wagenboden.
»Kommen Sie«, sagte er, wobei er sie mit den Händen an der Schulter abstützte und sie vorsichtig auf die Plane sinken ließ. »Hoffentlich ist es so besser.« Es war besser. Sie seufzte erleichtert, als sie sich auf die ausgebreitete Plane legte, unter der sie immer noch das heiße, harte Boden- blech spürte. Sie war in Schweiß gebadet, und das Sommerkleid klebte ihr unangenehm am Leib.
»Wissen Sie eigentlich, wie man so was macht? Gebären, meine ich. Haben Sie vielleicht einen von diesen Kursen besucht, in denen man richtig atmen lernt und so weiter?« Er sah sie mit hochgezogenen Brauen an, als hoffte er auf ihre Hilfe.
»Ja.« Sie rang sich ein Lächeln ab. »Ich war zwar nicht so regelmäßig da, wie ich es vorgehabt hatte, aber ein paar Sachen habe ich trotzdem mitgekriegt.«
»Dann tun Sie einfach, was man Ihnen beigebracht hat«, erklärte er ernst. Er schenkte ihr ein kurzes aufmunterndes Lächeln. »Haben Sie irgendwas in Ihrem Wagen, was wir brauchen können?«
»Ich habe eine kleine Reisetasche dabei. Darin finden Sie ein Nachthemd. Und im Handschuhfach ist Kleenex. « Ihre Mutter wäre stolz auf sie, dachte Leigh in einem Anfall von Selbstironie. Seit sie denken konnte, hatte ihre Mutter ihr eingebleut, dass eine Dame immer ein paar Taschentücher bei sich haben sollte.
»Ich bin gleich wieder da.«
Er flankte über die Seitenwand der Ladepritsche. Zerstreut stellte Leigh fest, dass er sich für einen Mann seiner Größe ausgesprochen behende bewegte. Sie hörte ihn fortgehen und kniff die Augen vor der blendenden texanischen Sonne zusammen. Schweißtropfen rannen ihr über die Schläfe ins Haar, aber sie hatte nicht die Kraft, sie wegzuwischen. Vergeblich versuchte sie an den Geräuschen zu erkennen, was der Mann in ihrem Wagen machte. Hoffentlich nutzte er nicht die Gelegenheit, um sie zu bestehlen. Plötzlich wurde Leigh bewusst, dass sie weder seinen Namen kannte noch sich sein Nummernschild eingeprägt hatte. Dann spürte sie, wie er die Tür des Pickup-Trucks auf- und wieder zumachte, und öffnete die Augen.
Als der Fremde wieder in ihrem Blickfeld erschien, hatte er sich das Nachthemd wie eine römische Toga über eine Schulter geworfen. In der Hand hielt er die Kleenexschachtel und eine zusammengefaltete Zeitung. Er kniete neben ihr nieder und reichte ihr das Kleenex.
»Diese Zeitung habe ich heute Morgen gekauft. Ich habe mal im Fernsehen gesehen, wie man bei einer Notgeburt eine Zeitung benutzt hat. Das Papier soll einigermaßen steril sein. Wie dem auch sei, vielleicht möchten Sie sich ja etwas unter Ihren ... äh ... Unterleib schieben.« Er reichte ihr die gefaltete, ungelesene Zeitung, drehte sich dann sofort um und kletterte wieder von der Ladefläche.
Sie befolgte seine Anweisungen, auch wenn ihr die Situation plötzlich ziemlich peinlich war. Allerdings blieb ihr kaum Zeit zur Verlegenheit, denn ihr Bauch zog sich schon wieder unter der nächsten Wehe zusammen. Einem rettenden Engel gleich tauchte er im selben Moment wie aus heiterem Himmel wieder auf, kniete neben ihrem Kopf nieder und nahm ihre Hand.
Keuchend starrte sie auf die Uhr an seinem linken Handgelenk. Es war eine Markenuhr aus rostfreiem Stahl mit allen möglichen Anzeigen und Zeigern. Das komplizierte, teure Instrument wollte überhaupt nicht zu den schlammbespritzten Cowboystiefeln und den schmutzigen Kleidern passen. Leighs Blick wanderte von der Uhr zu den langen, schlanken Fingern, an denen, wie ihr sofort auffiel, kein Ehering zu sehen war. Wenn ihr Kind schon von einem Mann zur Welt gebracht werden sollte, der keine Ahnung von Medizin hatte, hätte es dann nicht wenigstens ein Vater sein können?
»Sind Sie verheiratet?«, presste sie zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor, als die Schmerzen abebbten, ohne allerdings ganz zu verschwinden.
»Nein.« Er setzte den Cowboyhut ab und legte ihn auf ihr Haar, so dass wenigstens ihre Augen im Schatten waren. Sein langes, dunkelbraunes Haar, das unter dem Hut zum Vorschein gekommen war, fiel ihm auf den Hemdkragen.
Plötzlich machte es sie verlegen, dass sie ihn so in Anspruch nahm. Bestimmt war ihm die Situation genauso unangenehm wie ihr. Sie sah zu seinen sagenhaft blauen Augen auf. »Das muss ja scheußlich für Sie sein. Es tut mir schrecklich leid.«
Lächelnd schob er die Hand in die hintere Tasche seiner Jeans und zog ein buntes Tuch heraus, das er sich in Piratenmanier um die Stirn knotete. Verblüfft registrierte Leigh trotz ihrer Schmerzen, wie gut der Mann aussah. Wegen der Hitze hatte er sich das Hemd bis zur Brust aufgeknöpft. Sein dunkles, lockiges Brusthaar lag wie ein feingesponnenes Netz über der dunklen Haut. »Ach was, das macht mir nichts aus. Ich hab schon Schlimmeres erlebt. « Die blauen Augen funkelten fast fröhlich, und die weißen Zähne blitzten wieder hinter den breiten, sinnlichen Lippen auf.
Er rupfte ein Tuch aus der Kleenexschachtel und tupfte damit vorsichtig die Schweißperlen von ihrer Stirn und Oberlippe. »Aber vielleicht sollten Sie sich nächstes Mal einen kühleren Tag aussuchen«, bemerkte er mit ironisch hochgezogenen Brauen. Sie musste lächeln.
»Es war Doris Day«, sagte sie.
»Wie bitte?«
»Es war ein Film mit Doris Day. James Garner war der Ehemann. Er spielte einen Geburtshelfer. Arlene Francis bekam in einem Rolls-Royce Wehen, und Doris Day half ihm, das Baby zu entbinden.«
»Ist das der Film, in dem er das Auto in den Swimmingpool fährt?«
Sie lachte, aber das versetzte ihr einen solchen Stich in den Unterleib, dass sie unwillkürlich die Augen schloss. »Ich glaube schon«, flüsterte sie.
»Wer hätte gedacht, dass ein Spielfilm so bildend sein kann?« Er wischte ihr mit dem Kleenextuch den Schweiß vom Hals und warf es dann achtlos in eine Ecke der Ladefläche.
»Wie heißen Sie eigentlich?« Es war höchste Zeit, dass sie sich einander vorstellten, fand Leigh.
»Chad Dillon, Madam.«
»Ich bin Leigh Bransom.«
»Es ist mir ein Vergnügen, Mrs. Bransom.«
Trotz ihrer Schmerzen wagte sie ein zweites, kurzes Lachen und meinte: »Das glaube ich Ihnen nicht, Mr. Dillon.«
Die nächste Wehe empfand sie als nicht ganz so schlimm, vielleicht weil Chads geschickte Hände die ganze Zeit über die harte, schmerzende Kugel streichelten, in die sich ihr Bauch unter den Kontraktionen der Gebärmutter verwandelte. Als die Wehe überstanden war, wischte er ihr wieder den Schweiß von der Stirn und sagte: »Ich glaube, es wird nicht mehr lang dauern. Zum Glück habe ich eine Thermoskanne mit Wasser in der Kabine vorne. Warten Sie einen Moment, ich wasche mir schnell die Hände.«
Er verschwand, kam mit einer großen Wasserflasche zurück und kletterte damit auf die Ladefläche. Dann streckte er die Hände über die Seitenwand der Pritsche und wusch sie sich, so gut es ging.
»Was haben Sie eigentlich heute Nachmittag gemacht?«, erkundigte sich Leigh vorsichtig. Sie rätselte, wobei er sich wohl so schmutzig gemacht hatte.
Er betrachtete kritisch seine Hände, die zwar gewaschen, aber keineswegs sauber geworden waren. »Ich habe an einem Flugzeugmotor rumgebastelt.«
Er war also Mechaniker. Komisch, eigentlich sah er gar nicht so aus.
»Sie sollten lieber Ihre Unterwäsche ausziehen.« Seine leise, fast schüchterne Stimme riss sie unvermittelt aus ihren Gedanken.
Leigh spürte, wie sie errötete, und schloss verschämt die Augen. Wenn Chad wenigstens nicht so attraktiv wäre...
»Jetzt ist wirklich nicht der geeignete Moment, sich zu genieren. Wir müssen das Baby hier zur Welt bringen.« Sie glaubte, aufrichtiges Mitgefühl aus seiner Stimme zu hören, und machte die Augen wieder auf.
»Es tut mir leid«, murmelte sie und zog ihr Kleid hoch. Sie hatte heute Morgen im Radio gehört, dass es heiß werden sollte und sich deshalb weder ein Unterhemd noch einen BH angezogen, so dass sie sich jetzt nur das Höschen auszuziehen brauchte. Mühsam zerrte sie es sich über die Schenkel, bis Chad ihr zu Hilfe kam. Er streifte den Slip über ihre Beine und über die Sandalen an ihren Füßen.
»Möchten Sie nicht lieber die Schuhe ausziehen?«, fragte er.
»Nein. Die stören nicht ... Chad.« Die Antwort endete in einem Schrei, als sie vollkommen unvorbereitet die nächste Wehe überkam.
Sofort kniete er zwischen ihren angewinkelten Beinen nieder. Obwohl die Schmerzen jetzt so stark waren, dass Leigh Angst hatte, in Ohnmacht zu fallen, spürte sie, wie ihr schon wieder das Blut in den Kopf schoss. Da lag sie nun mitten in der Wüste hinten auf einem Pickup-Truck und ließ sich von einem Fremden zwischen die Beine schauen. Sie fühlte, wie seine Finger ihre Schenkel auseinanderdrückten, bevor sich ihre Bauchdecke in einem so schmerzhaften Krampf zusammenzog, dass ihr die Luft wegblieb.
»Ich glaube, ich kann schon den Kopf sehen«, rief er plötzlich erleichtert und sichtlich aufgeregt aus. Damit hatte sie nicht gerechnet. War es möglich, dass das Kind so schnell kam? Aber sie hatte keine Wahl, als sich auf seine Auskunft zu verlassen. »Sollten Sie jetzt nicht pressen ... oder so? Was kommt jetzt?« Er hockte immer noch zwischen ihren Beinen, vermied es aber, ihr ins Gesicht zu sehen. Auch wenn sie nicht wusste, ob er das aus Einfühlung oder eher aus Verlegenheit tat, war sie ihm dankbar dafür.
Sie rief sich die Unterweisungen ihrer Kursleiterin ins Gedächtnis und presste, so fest sie konnte. »Genau so«, ermunterte er sie. »Sie machen das ganz ausgezeichnet, Madam.« Seine tiefe, ruhige Stimme war wie Balsam für ihr gepeinigtes Innere. Jetzt spürte sie selbst, wie ihr Geburtskanal von dem weiterdrängenden Ungeborenen ausgefüllt wurde.
»Wir haben es gleich geschafft, Leigh«, redete er ihr gut zu, während er sich vorbeugte und ihr mit einem neuen Kleenextuch den Schweiß abwischte. Das Tuch, das er sich um die Stirn gebunden hatte, war ebenfalls schweiß durchtränkt. Er sah ihr für den Bruchteil einer Sekunde in die Augen und wischte sich dann mit dem Handrücken über die dichten Brauen. Das Haar auf seiner Brust glitzerte feucht.
Als die Wehen für einen Moment nachließen, stand er auf, schob eine Hand in die enge Hosentasche und zog ein Taschenmesser heraus. Mit der anderen Hand packte er die Thermosflasche, wusch die Klinge sauber und nahm dann ihr Nachthemd, das er neben sich auf die Plane gelegt hatte. Mit einer knappen Bewegung trennte er einen Träger ab. »Sie sind ganz schön zäh, wissen Sie das?«, bemerkte er, während er sich wieder zwischen ihre Beine kniete. »Die meisten Frauen würden in so einer Situation heulen und jammern. Sie sind die tapferste Frau, die mir je begegnet ist.«
Nein, nein, das bin ich nicht!, schrie es in ihr. Das durfte er nicht glauben. Sie war keineswegs tapfer. Sie musste ihm verraten, wie feige sie war. Aber bevor sie ein Wort herausgebracht hatte, fuhr er fort: »Ihr Mann wird bestimmt stolz auf Sie sein.«
»Ich ... ich habe keinen Mann«, presste sie mit letzter Kraft hervor, weil bereits die nächste Wehe einsetzte. Unwillkürlich krümmte sie sich unter den Schmerzen zusammen.
Verdutzt starrte Chad sie an, bis ihn ihr schmerzverzerrtes Gesicht aus seinen Gedanken riss. Sofort konzentrierte er sich wieder auf das Geschehen zwischen ihren Schenkeln. Der Schmerz ließ einen kurzen Moment nach, so dass Leigh ihn ansehen konnte. Im selben Augenblick hellte sich seine Miene erfreut auf. »Ja, so ist es gut«, spornte er sie an, ohne sie anzusehen. »Genau so. Pressen Sie kräftig weiter. Noch fester!« Sie befolgte seine Anweisung und spürte, wie das ungeborene Baby ins Rutschen kam. »Der Kopf ist draußen«, rief er lachend.
Sie merkte, wie der Druck in ihrem Unterleib langsam nachließ, und sank erschöpft auf das harte Blech der Ladefläche zurück.
»Kommen Sie, Leigh, Sie machen das ganz wunderbar.« Er tätschelte ihr aufmunternd den Schenkel. »Sie dürfen jetzt nicht aufhören. Wir müssen das Kleine ganz rausholen. Pressen, pressen, ja, so! Da! O Gott!«, schrie er, als er das glitschige Neugeborene mit seinen Händen auffing, das kurz darauf zu schreien anfing. Lächelnd sah er zu ihr auf. Seine Augen leuchteten glücklich. »Soll ich Ihnen sagen, was Sie da bekommen haben?«
Sie lächelte erschöpft und nickte.
»Ein wunderschönes kleines Mädchen.«
Freudentränen rannen Leigh über die Wangen, als sie den Mann ansah, der zwischen ihren Beinen kniete und sie anstrahlte. »Zeigen Sie sie mir«, hauchte sie schwach. »Ist sie gesund?«
»Sie ist ... vollkommen«, erklärte er knapp. »Einen Moment noch. Ich muss mich erst um die Nabelschnur kümmern. « Sie spürte, wie winzige Fäuste und Füße gegen ihr Fleisch trommelten, als er das Kind vorübergehend zwischen ihren Schenkeln ablegte. »Wie geht es Ihnen?«, fragte er nach einem Augenblick ängstlich. Er schaute nicht auf, sondern konzentrierte sich ganz auf seine Arbeit. Eine Schweißperle baumelte an der Spitze seiner scharf geschnittenen Nase.
»Ich fühle mich großartig«, antwortete sie schläfrig. Zu ihrer eigenen Überraschung war das nicht einmal gelogen.
Ihr tat zwar immer noch alles weh, aber sie fühlte sich wie berauscht vor Glück.
»Das sind Sie auch. Sie sind großartig.«
Er war immer noch nicht mit der Abtrennung der Nabelschnur fertig. Mit dem Hemdsärmel wischte er sich den Schweiß vom Gesicht. Schließlich hob er das rote, nasse, verschrumpelte, zappelnde, schreiende Neugeborene hoch und legte es Leigh behutsam auf die Brust.
»O Chad. Schauen Sie sie nur an. Ist sie nicht wunderschön? « Sie spürte, wie ihr neue Tränen in die Augen traten.
»Ja.« Seine Stimme klang plötzlich rau.
Der liebevolle Blick, mit dem sie ihr Baby betrachtete, wurde plötzlich von neuen Schmerzen überschattet.
Leigh spürte ein stärker werdendes Ziehen und hielt ängstlich die Luft an. Doch diesmal war der Schmerz wesentlich schwächer. Kurz darauf verwandelte sich das Ziehen in ein sachtes Zupfen, dann löste sich der Muskelkrampf in nichts auf.
»So. Fühlen Sie sich jetzt besser?« Chad wickelte die Nachgeburt in die Zeitung, die er unter ihren Unterleib gebreitet hatte.
»Ja.«
Er nahm wieder das Nachthemd, durchtrennte mit dem Messer den Saum und riss es in lange Streifen. Das Baby maunzte an der Brust seiner Mutter. Leigh hatte die Hitze vollkommen vergessen, die ihr vorhin so zu schaffen gemacht hatte. Sie spürte nur noch das zappelnde Bündel in ihren Armen. Behutsam untersuchte sie den feuchten, glitschigen Babyleib. Sie zählte die Zehen und Finger. Sie küsste die pochende Fontanelle auf dem noch leicht verschobenen Kopf ihrer Tochter. Ihrer Tochter! Die Vorstellung, dass dieses winzige, perfekte kleine Mädchen aus ihrem Körper gekommen war, erfüllte Leigh mit Ehrfurcht und unbeschreiblichem Stolz.
Inzwischen hatte Chad das Nachthemd zu einem Verbandspolster umgearbeitet, das er nun zwischen ihre Schenkel presste. Mit dem zuvor abgetrennten Träger band er es um ihre Taille fest.
»Komisch, plötzlich wieder einen flachen Bauch zu haben. « Sie seufzte.
Er lachte leise. »Das kann ich mir vorstellen. Fühlen Sie sich sehr schlecht?«
Erst jetzt bemerkte sie die pochenden Schmerzen in ihrem Unterleib. Sie fühlte sich wie ausgewrungen, und der Blutverlust hatte sie geschwächt. Nun machte ihr auch wieder die heiß brennende Sonne zu schaffen. »Nein«, antwortete sie, aber ihr war klar, dass ihm ihr Zögern nicht entgangen war. Bestimmt wusste er, dass sie gelogen hatte.
»Sie müssen beide ins Krankenhaus«, sagte er wie zu sich selbst.
Er zog ihr das Kleid wieder über die Beine und reichte ihr verlegen das Höschen, das er ihr vorhin ausgezogen hatte. »Wenn Sie das Baby tragen, trage ich Sie«, schlug er vor.
Sie nickte bloß und fasste das Baby fester, dann zog er sie mitsamt der Abdeckplane, auf der sie lag, in Richtung Heckklappe. Als sie kein Metall mehr unter den Füßen spürte, fasste er sie mit einer Hand unter den Knien, mit der anderen unter ihren Schultern und hob sie von der Ladefläche.
Mit langen Schritten eilte er auf ihren Wagen zu. Ohne Leigh abzusetzen, ging er kurz in die Knie und zog die Tür auf der Beifahrerseite auf. Ängstlich drückte sie das Baby an ihre Brust. Die Hitze, die sich im Wageninnern aufgestaut hatte, traf sie wie ein Faustschlag. Vorsichtig setzte Chad sie auf dem Sitz ab, dann rannte er um den Wagen herum und ließ den Motor an. »Die Klimaanlage ist eingeschaltet, es wird also gleich kühler werden. Ich würde Sie ja in meinem Wagen fahren, aber Ihrer ist besser gefedert. Außerdem ist der Truck voll Schrott.«
»Mir ist das nur recht, aber wie wollen Sie zu Ihrem Wagen zurückkommen?« So dankbar ihm Leigh für seine Hilfe auch war, es war ihr peinlich, dass er sich ihretwegen so viele Umstände machte.
Er winkte lässig ab, als würde er jeden zweiten Tag ein Kind entbinden und eine Frau vierzig Meilen durch die Wüste kutschieren. »Machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Ich muss ihn nur schnell abschließen.«
Kurz darauf war er wieder da. Er rutschte den Fahrersitz bis zum Anschlag zurück, um seine langen Beine in dem engen Schacht unter dem Lenkrad des Kleinwagens unterzubringen. »Hat der Wagen Liegesitze?«, fragte er, während er den Rückspiegel einstellte.
»Ja.«
»Ich glaube, das wäre für Sie bequemer.«
Er beugte sich über sie und das Baby und stellte die Rückenlehne zurück. Als die Lehne in halb liegender Position war, ließ sie sich vorsichtig zurücksinken, gestützt von seiner starken Hand. Das Baby zappelte kurz in ihren Armen, als wollte es sich es in der neuen Lage gemütlich machen.
»Angenehmer so?«
»Viel besser«, antwortete sie wahrheitsgemäß.
Als er sich davon überzeugt hatte, dass sie so bequem wie möglich lagen, nahm er seine Sonnenbrille von der Ablage hinter dem Lenkrad und setzte sie sich wieder auf. Den Cowboyhut hatte er auf der Ladefläche seines Wagens vergessen, trotzdem streifte er sich das Stirntuch ab und knöpfte sein Hemd bis auf den obersten Knopf zu. Dann schnallte er sich an und hatte eben den Gang eingelegt, als ihr etwas einfiel.
»Chad, können Sie mir bitte meine Tasche reichen? Ich glaube, ich sollte sie zudecken.«
»Klar«, sagte er mit einem kurzen Blick auf das nackte Neugeborene. Er stellte den Motor ab, drehte sich nach hinten und hob die kleine Reisetasche auf den Vordersitz. »Alles bereit? Sind Sie wohlauf?«
Sie lächelte ihn an. »Mir geht es gut.«
Er erwiderte ihr Lächeln und schien etwas sagen zu wollen, überlegte es sich aber anders. Er drehte sich wieder nach vorn, legte den Gang von neuem ein und lenkte den kleinen Wagen auf den verlassenen Highway. Das Auto rumpelte über den schotterbedeckten Seitenstreifen auf das Straßenpflaster. Leigh musste die Zähne zusammenbeißen; sie hatte das Gefühl, als würden ihr gleich sämtliche Eingeweide aus dem Leib purzeln.
Obgleich er sie nicht angesehen hatte, bemerkte er ihr Unwohlsein und sagte mitfühlend: »Es tut mir leid. Ich weiß, dass das wehtut, aber Sie scheinen nicht allzu viel Blut verloren zu haben. Ich glaube, Sie werden sich schnell erholen, wenn Sie erst in Behandlung sind.«
Leigh kramte in der Reisetasche herum, die er zwischen den beiden Vordersitzen abgestellt hatte. Das war keine leichte Aufgabe, da sie in ihrer Position nur mit Mühe in die Tasche schauen konnte und immer darauf achten musste, dass ihr das Baby nicht aus dem Arm rutschte. Schließlich förderte sie ein altes, bequemes, weiches T-Shirt zutage. »Zum Glück habe ich die Sachen mitgenommen«, bemerkte sie geistesabwesend, während sie das Baby darin einwickelte und es dann an ihre Brust drückte.
Er warf ihr einen kurzen Seitenblick zu, nahm dann mit einer Hand die Reisetasche und beförderte sie wieder nach hinten. »Wo sind Sie eigentlich hergekommen, oder wo wollten Sie hin?«
»Ich war in Abilene. Eine Freundin vom College hat gestern Abend geheiratet. Auf der Hochzeit wollte ich mein einziges schönes Umstandskleid tragen«, sagte sie und deutete nach hinten. An dem Haltegriff neben den Rücksitzen hing ein Plastikkleidersatz über einem Bügel. »Ich wollte über Nacht bleiben, weil wir uns eine Ewigkeit nicht mehr gesehen hatten, und habe daher einige Sachen eingepackt.«
Lächelnd warf er einen Blick auf das orangene T-Shirt, in das sie das Baby eingehüllt hatte. Sie hatte den Stoff so um die Kleine gewickelt, dass die Aufschrift »University of Texas« zu lesen war. »Das war Vorhersehung.« Dichte Brauen senkten sich über seine strahlenden Augen, dann drehte er kurz den Kopf und warf ihr einen tadelnden Blick zu. »Es war Wahnsinn, so mutterseelenallein durch die Gegend zu fahren. Auf welchen Tag sollte die Niederkunft denn fallen?«
»Das Kind sollte erst in zwei Wochen kommen. Aber Sie haben recht.« Sie lächelte reumütig. »Ich habe das Schicksal wirklich herausgefordert. Ich wollte unbedingt zu der Hochzeitsfeier und hatte niemanden, der mich fahren konnte, deshalb ...« sie ließ den Satz unvollendet und zuckte mit den Achseln. Dann schaute sie liebevoll auf das Kind, das schlafend an ihrer Brust lag. Offenbar war die Geburt für das Baby genauso anstrengend gewesen wie für sie.
»Wenn Sie schon allein durch die verlassene Gegend fahren mussten, warum sind Sie nicht auf der Interstate 20 geblieben? Die führt doch direkt von Abilene nach Midland. « Er schüttelte verständnislos den Kopf. »Ihre Route war nicht nur gefährlicher, sondern auch wesentlich länger. Auf der Interstate hätte Ihnen bestimmt schneller jemand geholfen.«
Schuldbewusst senkte sie den Kopf. Er hatte recht. In der Dreiviertelstunde, bevor er aufgetaucht war, hatte sie sich selbst für ihre Sturheit verflucht. »Ich habe noch eine Freundin heimgefahren«, gestand sie kleinlaut. »Sie lebt in Tarzan. Eine Stadt mit dem Namen Tarzan, Texas, musste ich einfach sehen. Die Schmerzen haben erst eingesetzt, als ich schon wieder unterwegs war. Wie gesagt, zuerst dachte ich, ich hätte mir den Magen verdorben.«
Sie war auf eine weitere Rüge gefasst, doch zu ihrer Überraschung wiederholte er nur leise »den Magen verdorben « und lachte dann kopfschüttelnd.
Sie schaute auf ihre Tochter hinunter, die soeben aufgewacht war und sofort mitleiderregend zu maunzen begann. »Ich hoffe nur, dass dem Baby nichts passiert ist.«
»Ihre Lunge ist jedenfalls in Ordnung«, stellte Chad grinsend fest.
Obwohl Leigh alles Mögliche versuchte, um sie zu beruhigen, wurde die Kleine immer ungehaltener. Innerhalb weniger Minuten lief das winzige Gesichtchen zornrot an. Leigh fürchtete, dass Chad das schreiende Baby irritieren könnte, und schaute ängstlich aus dem Augenwinkel zu ihm hinüber. Er beachtete sie gar nicht, sondern konzentrierte sich ganz auf das Fahren, was allerdings nicht schwer war, da außer ihnen weit und breit kein Auto zu sehen war. Was wäre wohl passiert, wenn Chad nicht zufällig vorbeigekommen wäre?, fragte sich Leigh, während sie das Kind in den Armen wiegte und mit dem Zeigefinger über seine Wange strich. Das Baby beruhigte sich allmählich und schlief wieder ein, wenn auch nur kurz.
Sie waren immer noch zwanzig Meilen von Midland entfernt, als das Baby wieder aufwachte und erneut zu quengeln begann. Diesmal ließ es sich nicht durch Streicheln besänftigen. Allen Beruhigungsversuchen zum Trotz begann es jämmerlich zu weinen, bis Leigh schließlich vollkommen ratlos war. Sie schaute Chad an, der ihren besorgten Blick auffing. Ohne Umschweife bremste er den Wagen ab und hielt mitten auf dem Highway an. In beiden Richtungen war bis zum Horizont kein anderes Auto zu sehen.
»Was soll ich nun machen?«, fragte Leigh unsicher und ohne wirklich mit einer Antwort zu rechnen. Was wusste dieser Mann schon von Babys? Er war ja nicht einmal verheiratet. Trotzdem kam es ihr eigenartig selbstverständlich vor, ihn um Rat zu fragen.
Er rieb sich verlegen mit der Hand über den Nacken und schob sich dann eine lose Haarsträhne aus der Stirn, die jetzt von tiefen Falten gezeichnet war. »Ich weiß nicht. Vielleicht sollten Sie ... äh ... sie stillen ...«
Leigh war froh, dass die Sonne bereits unterging und alles in orangenes Licht tauchte. Vielleicht fiel ihm ja nicht auf, wie rot sie plötzlich geworden war. Sie musste sich räuspern, ehe sie ihm antwortete. »Aber ich werde ein paar Tage lang ... keine Milch haben.«
»Ich weiß, aber vielleicht sucht sie ... instinktiv nach ... äh ... Nähe.« Er zuckte mit den Achseln.
Leigh wusste, dass er recht hatte, trotzdem war es ihr peinlich, das Baby in seiner Gegenwart an ihre Brust zu legen. Sie wusste, dass das albern war - schließlich hatte er ihr in einem Moment Beistand geleistet, der wohl intimer war als jeder andere -, aber nichtsdestotrotz war es ihr unangenehm, dass er jetzt auch noch ihre Brust sehen sollte. Unschlüssig schaute sie auf ihre Tochter hinab.
Das Baby brüllte jetzt. Vor Wut traten ihm winzige blaue Äderchen auf die Stirn, während es mit den Fäusten fest auf die Mutter eintrommelte. Chad spürte Leighs Unsicherheit und nahm ihr die Entscheidung ab, indem er seine Hand über die Rückenlehne ihres Sitzes streckte und den Knoten am Träger ihres Sommerkleides löste. Sie senkte verlegen den Kopf, schüttelte den Stoff ab und schob ihn tiefer, bis eine Brust freilag. Sie fasste sie und hielt sie ihrer Tochter vor das zornige Gesicht. Mit überraschender Zielsicherheit fand der kleine Mund die mütterliche Brustwarze und begann, gierig daran zu nuckeln.
Spontan brachen Leigh und Chad in Lachen aus, was dem Moment die Peinlichkeit nahm, und Leigh entspannte sich wieder. Eine Weile beobachteten sie beide liebevoll das emsig saugende und lautstark schmatzende Baby. Doch als Leigh Chad schließlich in die Augen sah, schaute er nicht mehr das Kind an, sondern sie. Und sein Blick brachte Leigh augenblicklich zum Verstummen.
»Mutter zu sein steht Ihnen gut, Leigh«, bemerkte er leise und mit seltsam rauer Stimme. »Mit Ihren kastanienbraunen Locken, den blaugrauen Augen, die einen an Gewitterwolken denken lassen, diesem Mund, der so weich und zart scheint wie der von Ihrem Kind - und vor allem Ihrem Blick, wenn Sie Ihr Kind anschauen -, erinnern Sie mich an eine Madonna auf einem italienischen Gemälde des fünfzehnten Jahrhunderts. Nur dass Sie echt sind.« Unverwandt schaute er sie an, als wollte er sich ihr Gesicht für alle Zeiten einprägen.
Leigh erwiderte seinen Blick und musterte ihn genauso eindringlich. Wie hatte sie sich vor diesem sensiblen, einfühlsamen Mann nur fürchten können? Zuerst hatte sie nur seine schmutzigen Kleider und sein verschwitztes, bartstoppliges Gesicht gesehen. Jetzt dagegen sah sie vor allem, wie gütig und freundlich seine Augen leuchteten. Seine Hände waren von Schwielen überzogen, aber sie kamen ihr sicher und stark und zärtlich zugleich vor. Plötzlich musste sie daran denken, dass er sie mit diesen rauen, liebevollen Händen berührt hatte. Beschämt senkte sie die dunklen Wimpern wie einen schützenden Vorhang vor ihre Augen.
Während sie ihrer Tochter beim Trinken zuschaute, sah sie, wie sich Chads Hand langsam auf das Baby zubewegte. Unwillkürlich hielt sie den Atem an. Sein langer, gerader Zeigefinger berührte ihre Tochter an der Wange und streichelte sie. Leigh glaubte beinahe, die Liebkosung an ihrer Brust zu spüren.
»Wie soll sie heißen?« Seine Stimme war immer noch tief und warmherzig, aber nicht mehr ganz so rau wie noch vor wenigen Sekunden.
»Sarah«, antwortete sie, ohne zu zögern.
»Ein schöner Name.« Zärtlich fuhr er mit der Fingerspitze über die Wange der Kleinen.
»Wirklich?«, fragte sie und sah ihn an. »So hieß meine Schwiegermutter.«
Seine Hand zuckte zurück, als hätte er sich verbrannt. »Ich dachte, Sie wären nicht verheiratet.« Leigh versuchte aus seinem Blick zu lesen, was er jetzt dachte, aber plötzlich war seine Miene undurchdringlich, so als hätte er sich vor ihr verschlossen.
»Das bin ich auch nicht. Nicht mehr. Mein Mann ist umgekommen.«
Er sah sie kurz an, dann drehte er sich nach vorn. Eine volle Minute lang starrte er durch die Windschutzscheibe in die untergehende Sonne, die als riesiger roter Ball über dem Highway hing. Ein Wagen kam vom Horizont her auf sie zu, wurde langsam größer und fuhr dann laut hupend an ihnen vorbei. »Mein Beileid«, sagte Chad schließlich. »Ist das schon lange her?«
»Acht Monate. Er wusste nicht einmal, dass ich schwanger war. Er war bei der Drogenfahndung und wurde bei einem Einsatz erschossen.« Leigh sprach nicht gern über den Tod ihres Mannes. Die Erinnerung daran tat ihr zu weh. Doch sie glaubte, Chad wenigstens eine knappe Erklärung schuldig zu sein.
Chad zischte einen kaum hörbaren Fluch, drehte sich wieder zu ihr um und schaute auf das Baby. Die Kleine schlief, nuckelte nur ab und zu mit ihrem Rosenknospenmund an Leighs Brustwarze. Leighs Brust begann zu prickeln, als sie seinen Blick darauf bemerkte. Sie spürte, dass sie schon wieder rot wurde. »Ich glaube, Sie sind beide etwas ganz Besonderes«, murmelte Chad. Dann legte er den Gang ein und fuhr los.
Offenbar war Leigh kurz darauf eingenickt. Das Nächste, was sie mitbekam, war, dass Chad zur Notaufnahme des Krankenhauses einbog. Sie brauchte ein paar Sekunden, ehe sie den gepflegten Rasen vor dem weißen Bau, die Büsche, hinter denen die Eingangstür verborgen lag, und den Parkplatz neben dem Haus wiedererkannte. Chad hupte ausdauernd, während er das Auto die betonierte Auffahrt hinauflenkte, hielt dann den Wagen unter dem Vordach an und stellte den Motor ab. Dann drehte er sich zu Leigh um und hob vorsichtig das Kind hoch. »Sie sollten sich jetzt besser wieder anziehen«, bemerkte er. Hastig und noch halb verschlafen knotete sie den Schulterträger wieder fest. Sarah war ebenfalls aufgewacht und begann wieder zu zappeln. Chad lächelte das Baby an und reichte Leigh die Kleine wieder. »Warten Sie hier«, befahl er knapp.
Nun lernte sie einen ganz anderen Chad kennen. Wie ein General kommandierte er die Pfleger und Schwestern, die, von seinem Hupen aufgeschreckt, aus dem Bau he rausgelaufen kamen. Die Wagentür wurde aufgezogen, und hilfreiche Hände nahmen Leigh das Baby ab. Ein kräftiger schwarzer Pfleger half ihr beim Aussteigen und hob sie zusammen mit seinem weißen Kollegen auf eine fahrbare Bahre. Sie spürte, wie sie festgeschnallt wurde, sah sich nach Sarah um und fragte sich halb benommen, wohin man ihre Tochter gebracht hatte und wo Chad hingegangen war. Die automatischen Türen der Notaufnahme glitten zischend auf, dann wurde es schlagartig kühl, und Neon leuchten zogen in regelmäßigem Abstand über Leigh hinweg. Noch bevor sie den Behandlungsraum erreicht hatten, wurde ihr schwindlig und übel. Sie wurde auf einen Untersuchungstisch gelegt, dann spürte sie, wie ihre Beine in kalte Metallschienen gehoben wurden.
Wo war ihr Baby? Sie hatte Schmerzen. Klebte da Blut an ihren Schenkeln? Woher wussten die Leute ihren Namen? Die Pfleger verschwanden aus ihrem Blickfeld, ein paar neue Gesichter erschienen. Der große Operationsscheinwerfer über ihr leuchtete auf, die Gesichter hatten jetzt Schutzmasken vor Mund und Nase und Hauben auf dem Kopf. Das Abtasten und Untersuchen tat weh. Wer war dieser Arzt, der ihr immerzu erklärte, sie bräuchte sich keine Sorgen zu machen? Würden sie ihr eine Spritze geben?
Und wo war Chad?
Chad ...
»Leigh?«
Copyright © 1. Auflage Taschenbuchausgabe Oktober 2013 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
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Autoren-Porträt von Sandra Brown
Sandra Brown ist eine der erfolgreichsten Autorinnen weltweit. Ihre Romane werden in 33 Sprachen übersetzt und erobern regelmäßig Spitzenplätze auf den internationalen Bestsellerlisten. Ihren großen Durchbruch als Thrillerautorin feierte Sandra Brown mit dem Roman "Die Zeugin", der auch in Deutschland auf die Bestsellerlisten kletterte - ein Erfolg, den sie seither mit jedem neuen Thriller wiederholen konnte. Sandra Brown lebt mit ihrer Familie abwechselnd in Texas und South Carolina.
Bibliographische Angaben
- Autor: Sandra Brown
- 2013, Neuveröffentlichung, 352 Seiten, Masse: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Christoph Göhler
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442381606
- ISBN-13: 9783442381609
- Erscheinungsdatum: 12.09.2013
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