Treuepunkte / Andrea Schnidt Bd.4
Noch bis eben schien Andrea Schnidts Leben - mit kleinen Abstrichen - perfekt zu sein: mein Haus, mein Auto, meine Kinder, mein Mann. Doch Christoph verbringt angeblich ganze Tage und Nächte in der Kanzlei, weil es momentan so viel zu tun gebe und er nun...
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Noch bis eben schien Andrea Schnidts Leben - mit kleinen Abstrichen - perfekt zu sein: mein Haus, mein Auto, meine Kinder, mein Mann. Doch Christoph verbringt angeblich ganze Tage und Nächte in der Kanzlei, weil es momentan so viel zu tun gebe und er nun mal keine andere Wahl habe. Merkwürdig nur, dass er dabei so erstaunlich gut gelaunt ist und jetzt auch noch diese gestreifte Krawatte trägt, die sie in ihrem Leben vorher noch nie gesehen hat. Da läuft doch was! "Was der kann, kann ich schon lange", schnaubt Andrea und tritt die Flucht nach vorne an.
"Susanne Fröhlich spielt bewusst und intelligent mit den Klischees des Genres. Sie übertreibt, sie ironisiert. Ein Buch zum entspannten Abtauchen in eine Welt mit Happyend. Es nimmt sich nicht zu ernst, aber ernst genug. Die richtige Balance, um schlau zu unterhalten."
bücher 6/2006
Treuepunkte von Susanne Fröhlich
LESEPROBE
Christophruft an. Das erste Mal für heute übrigens. Früher, als wir uns gerade kennengelernt hatten, hat er sich fast stündlich gemeldet. Manchmal nur um mir zusagen, wie wahnsinnig verliebt er ist. In mich! Oder wie sehr er sich nach mirsehnt. Die Zeiten sind vorbei. Wenn er heutzutage anruft, dann geht esnormalerweise um logistische Fragen. Wer, wann, wo wen abholt oder Ähnliches. Waswill er also jetzt? Mich spontan zum romantischen Essen einladen oder mirsagen, dass ich die tollste Frau überhaupt bin? Nein.
»Es wirdein wenig später, die Michels und ich müssen noch was durchsprechen«, sagt meinMann. Schon wieder die doofe Michels. Die Frau gehörtja bald zur Familie, so oft wie ihr Name fällt. Was durchsprechen mit FrauMichels! Aha! Mit Miss Sexbombe aus der Kanzlei. Der neuen Allzweckwaffe,hochintelligent, Prädikatsexamen und dazu noch irre hübsch. Ich habe sie nochnie gesehen, aber als ich mal gefragt habe, wie die Michels denn so aussieht,hat mein Mann gesagt: »So wie diese Angelina Jolie,die vom Brad Pitt.« Frau Michels, oder Michelle, wiesie mein Mann mittlerweile nennt, kommt aus Kanada. Sie spricht fliessendFranzösisch, Englisch, natürlich auch Deutsch, und kommt aus wohlhabender Familie.Ich kenne sie nicht, habe aber auch kein wirkliches Interesse daran, sie kennenzu lernen. Die nervt mich schon so. Ohne dass ich sie je gesprochen habe. Ich finde,es gibt einen Grad an Perfektion, der keinen Raum mehr für Bewunderung lässt.Alles sollte doch bitte im Bereich des Menschlichen bleiben. Hätte siewenigstens einen fiesen Sprachfehler oder einen kleinen Silberblick oderzumindest O-Beine oder eine Zahnspange, dann könnte ich ein Auge zudrücken.Eine Hasenscharte wäre mir ehrlich gesagt noch lieber. So kann ich sie leidernur hassen. Ich bewahre trotzdem oder gerade deshalb Haltung beim Telefonat undwünsche ganz gelassen ein gutes Gespräch. Man darf eifersüchtig sein, es abermöglichst nicht zeigen. »Eifersucht zeugt von einem schwachen Selbstwertgefühl«,meint mein Mann und auf diese Blösse kann ich sehr gut verzichten. Diese FrauMichels deprimiert mich. »Vielleicht gehen wir noch eine Kleinigkeit essen. Dumusst also nicht auf mich warten«, raunt mein Mann noch und verabschiedet sichschnell. Schade. Ich hätte ihm gerne noch den Picknickrucksack angeboten, denndann könnte er mit Frau Michels ab sofort immer lauschig in der Kanzlei essen -mit Belle Michelle, wie Michelle liebevoll hinter ihrem Rücken von denmännlichen Kollegen genannt wird. Solche Frauen gehören wirklich verboten. Sieschwächen die Moral der Basis. Also der Frauen, die wie ich die Fronarbeitleisten: Kinder, Küche und Co.
Gut, dassich nicht in einem Anfall von Grossmut den Bademantel für meinen Mann genommenhabe. Obwohl, sollte er mal mit Belle Michelle in die Sauna wollen (zum Was-Durchsprechenoder so), kann er ja schlecht sein nahezu verwestes Teil anziehen.
MeinPicknickrucksack und ich fahren nach Hause. Wird sicherlich ein toller Abend!Christoph mit Belle Michelle beim lauschigen Abendessen im Restaurant und ichmit zwei Kindern, die Nahrung haben wollen, in die Wanne müssen und garantiertrumzanken.
Ich sammledie Kinder bei den diversen Freunden ein und freue mich auf übermorgen.
Übermorgengehe ich zum Arbeitsamt, vielmehr zur Agentur für Arbeit. Ich will endlichwieder einen Job. Die Kinder sind, wie man so schön sagt, aus dem Gröbsten rausund ich möchte auch die Chance haben, zu einer Belle Michelle mutieren zukönnen. Obwohl Belle Andrea schon wesentlich weniger attraktiv und irgendwie auchverdammt affig klingt. Aber mit einem Kollegen (der ganz zufällig haargenau soaussieht wie Brad Pitt!!) abends nochmal wasdurchsprechen zu müssen, klingt ziemlich reizvoll. Nicht dass ich extremrachsüchtig wäre, doch allein der Anruf bei Christoph, »du warte nicht, ich mussmit dem schönen Brad noch das eine oder andere klären!« - herrlich.
Bingespannt, was die Fuzzis von der Agentur für Arbeit mirvorschlagen. Viel erhoffe ich mir nicht. Ich meine, man kennt ja die Berichteaus dem Fernsehen. Die vollen Gänge, die Nummernschalter und die bleichen deprimiertenGesichter der Wartenden. Aber man soll ja nicht verzagen, ohne es überhauptprobiert zu haben. Die Chancen, eine Anstellung zu finden, sind in meinem Fallsicherlich begrenzt. Ich bin nun mal nur sehr eingeschränkt flexibel.Eingeschränkt flexibel. Gibts das überhaupt? Ist das nicht ein Widerspruch insich? Ein Ausschlusskriterium? Aber mit zwei Kindern kann ich nun mal nichtheute in Cottbus und morgen in München sein. Und auch nächtelangesDurcharbeiten scheint nicht kompatibel. Der Hort macht irgendwann zu und dieGeduld der Erzieherinnen, was verspätetes Abholen angeht, hält sich in Grenzen.Auf meinen ehemaligen Arbeitgeber, den Sender Rhein-Main-Radio-und-TV,kann ich nicht bauen. Die Fernsehsendung, für die ich gearbeitet habe, »Ratenmit Promis«, ist mittlerweile abgesetzt. Die Einschaltquoten waren fast nurnoch unter dem Mikroskop sichtbar. Quotenspurenelemente sozusagen. Ich glaube nicht,dass es damit zu tun hatte, dass ich im Team gefehlt habe, aber der Gedanke,dass mein Weggang die Sendung ins Aus katapultiert haben könnte, ist einfachherrlich. Die freiberuflichen Redaktionsmitarbeiter sind entlassen und diewenigen Festangestellten in andere Abteilungen verschoben. Der Moderator, derunsägliche Will Heim, moderiert mittlerweile bei einem Homeshopping-Kanal. WelcheDemütigung! Obwohl ich ihn nie mochte, tut er mir doch ein wenig Leid. Ichhätte aus lauter Mitleid fast schon mal ein Sushi-Messersetbei ihm gekauft, konnte mich aber in letzter Minute dann doch noch beherrschen.Vor allem, weil ich zugegebenermassen eher selten Sushiselbst mache. Ehrlich gesagt nie. Christoph hasst Fisch, und die Kinder zuckenschon bei Fischstäbchen zusammen. Von rohem Fisch gar nicht erst zu reden.
Zurück inmeine ganz alte Firma will ich einfach nicht und ich glaube, ich hätte auchnicht wirklich eine Chance. Ich habe einige Jahre in meinem erlernten Beruf alsSpeditionskauffrau gearbeitet. Nur - die Speditionsbranche kränkelt und von deralten Mannschaft sind schon vier geschasst worden. Es sieht also nicht so aus,als würden die auf mich warten. Andererseits - irgendwo da draussen in der Weltder Arbeitenden muss es doch auch eine Aufgabe für mich geben. Ich versuche,optimistisch zu sein. Nicht grämen, bevor es nicht auch einen Anlass dazu gibt.Vorbeugend pessimistisch zu sein, mag helfen, die spätere Enttäuschung zumildern, allerdings ist man dann auch vorher schon geknickt und das ist imGrossen und Ganzen doch eher furchtbar. Also - vielleicht bin ich ja abübermorgen wieder eine berufstätige Frau. Wenigstens jetzt will ich mich imRausch dieser wunderbaren Vorstellung suhlen.
Viel Zeitbleibt mir dafür nicht. Claudia, meine neunjährige Tochter, mittlerweile in dervierten Klasse, und Mark mein Sohn, fast sechs Jahre alt, verlangen mal wiedervolle Aufmerksamkeit. Sie streiten sich so dermassen, dass ich kurz davor bin,das Jugendamt anzurufen, um die beiden abholen zu lassen. Ich schaffe es ohneJugendamt. Eine Stunde später liegen sie abgefüttert und einigermassen sauber imBett. Und nun? Ein weiterer aufregender Abend liegt vor mir!
Ich werdeauf Christoph warten. Mal hören, wie es mit Belle Michelle war. Ausserdem kannich ihn durch meine Anwesenheit vielleicht auch sanft daran erinnern, dass er schoneine Frau hat. Sicher ist sicher. Es ist nicht so, dass ich rasend eifersüchtigbin, aber seit Christoph zum Juniorpartner in der Anwaltskanzlei Langner aufgestiegen ist, lebt er praktisch in der Kanzlei.Bald werde ich den Kindern Bilder zeigen müssen, damit sie sich wiedererinnern, wie ihr Vater aussieht. Nicht dass sie irgendwann auf der Strasseeinen wildfremden Kerl anspringen und ekstatisch »Papa« schreien. Christoph istein ehrgeiziger Mann - tut all das aber selbstverständlich nur für uns, seineFamilie.
Ich guckedie »Supernanny« und bin erstaunt, was es für Kindergibt. Wo haben die wohl diese Zwergmonster aufgegabelt? Dagegen sind meine jageradezu wohlerzogen. Immerhin hat mich noch keins angespuckt oder alte Schlampegenannt. Man wird dankbar für kleine Dinge. Ich genehmige mir eine FlascheWein. Für mich eher ungewöhnlich. So allein vor mich hin zu picheln, macht mir eigentlichkeinen Spass. Aber heute Abend verlangt mein Körper nach Alkohol. Bin gespannt,wann mein Mann sich nach Hause bequemt.
Nach demdritten Glas Rotwein ist es Viertel nach zehn und kein Christoph weit undbreit. Ob ich mal anrufe? Ich meine, er könnte ja einen Unfall gehabt haben odereine fi ese Panne. Vielleicht braucht er Hilfe? Ich wähle seine Handynummer undkomme mir schon beim Wählen doof vor. Wie so eine Kontrolltante, typischeifersüchtige hysterische Ehefrau. Es antwortet seine Mailbox.
Ich legeauf. Wie ich das hasse. Nie geht mein Mann an sein Telefon. Wozu hat derüberhaupt ein Handy? Wie oft habe ich ihm erklärt, dass ein Handy an sein muss,um seine Funktion zu erfüllen. Ich habe wortreich Horrorszenarien entwickelt:»Stell dir mal vor, ich wäre mit Claudia oder Mark in der Notaufnahme undmüsste entscheiden, ob das Bein abgenommen werden soll oder so was Ähnliches.Da wäre es doch sinnvoll, wenn du auch was dazu sagen würdest. Dazu musst dudein Handy aber anmachen.« Er ist durch solcheSchilderungen nicht zu erschüttern.
Aber warumhat er jetzt sein Handy aus? Eine Stimme tief in mir drin sagt, dass er anMichelle rumbaggert. Belle Michelle. Versucht gerade, sie in ein Hotelzimmer zulocken, und will dabei selbstverständlich nicht durch häusliche Kontrollanrufegestört werden. Um diese unsinnige Idee zu vertreiben, trinke ich schnell nochein Glas Rotwein. Wer weiss, wie die gerade rumfingern? Ich kippe das Zeugrunter wie Wasser und hoffe, es ist einer von Christophs guten Weinen. Eine derFlaschen, die erst in drei bis vier Jahren ihr wahres Aroma entwickeln und alsInvestition für die Zukunft angeschafft wurden. Eine der Flaschen, die ichnicht mal berühren darf. Mein Mann liebt Rotwein. Seine Schätze liegen unten imKeller fein säuberlich in einem eigens dafür angeschafften Weinregal.Christophs Traum ist ein extra Weinkeller. Am besten mit so einem Weinschrank,in dem konstant eine bestimmte Temperatur herrscht. Schnickschnack, meinerMeinung nach. Es gäbe wahrlich Dinge, die wir dringender brauchen könnten. Aberwelche Anschaffung wie wichtig ist, darüber waren wir schon immerunterschiedlicher Ansicht.
Noch einGlas Rotwein später ist es halb zwölf. Ich glaube, der tickt nicht richtig. Wielange dauert »eben mal was durchsprechen«? Ich könnte ihm ein paar knallen. Dermacht sich einen flotten Abend mit Belle Michelle und ich hänge zu Hause rumund schütte mich mit Rotwein zu. Je mehr ich darüber nachdenke, umso saurerwerde ich. Meine rationale Seite meldet sich. Ich sollte ins Bett gehen. DieWarterei macht einen ja komplett mürbe. Andererseits - jetzt habe ich so langeausgeharrt, da möchte ich schon noch sehen, in welchem Zustand mein Ehemannhier einläuft. Und vor allem wann! Einen Telefonversuch mache ich noch. Ichmeine, kann ja sein, dass er sich bei meinem letzten Anruf in einem gigantischenFunkloch befunden hat. Die Technik weist durchaus Lücken auf. So sind wirFrauen - suchen immer brav Entschuldigungen für männliches Fehlverhalten. Wassind wir doch für erbärmlich harmoniesüchtige Wesen! Ich wähle und wiederantwortet nur die Mailbox. Diesmal spreche ich drauf. Ich begnüge mich miteiner klaren, knappen Nachricht: »Ruf mich an. Sofort.« Das sollte reichen.Wirklich freundlich war das jetzt nicht, aber immerhin deutlich. Ich hatte eineähnliche Tonlage wie diese Domina in der Werbung füreine Masochisten- Telefonhotline. ()
© S.Fischer Verlag
- Autor: Susanne Fröhlich
- 2007, 9. Auflage, 256 Seiten, Masse: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596168120
- ISBN-13: 9783596168125
- Erscheinungsdatum: 18.10.2007
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