Zusammen ist man weniger allein
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»Ein herzergreifender, zarter und anrührender Roman, in dem das Lachen und die Not verschwistert sind.«
Le soir
Zusammen ist man weniger allein von AnnaGavalda
LESEPROBE
In den ersten Tagen kam Paulette nicht aus ihrem Zimmer. Siehatte Angst zu stören, sie hatte Angst, sich zu verlaufen, sie hatte Angst zufallen (sie hatten ihr Wägelchen vergessen), und vor allem hatte sie Angst,ihre Kurzschlusshandlung zu bereuen. Oft kam sie durcheinander, redete davon,dass sie sehr schöne Ferien verbringe, und fragte, wann sie die Absicht hätten,sie wieder nach Hause zu bringen. »Wo soll das sein, dein Zuhause?« regteFranck sich auf. »Das weisst du doch, zu Hause, bei mir...« Seufzend ging er ausdem Zimmer: »Ich hab euch ja gesagt, das ist eine Schnapsidee. Jetzt dreht sievöllig durch.« Camille sah Philibert an, und Philibert sah woandershin.»Paulette?« »Ah, du bists, Kleines. Du... Wie heisst du noch?« »Camille.«»Genau. Was möchtest du, Liebes?« Camille redete Klartext mit ihr, unverblümt.Erinnerte sie daran, woher sie kam, warum sie bei ihnen war, was die drei anihrem Lebenswandel schon geändert hatten und noch ändern würden, um bei ihr zusein. Sie erwähnte noch unzählige weitere einschneidende Details, die die alteDame völlig hilflos machten: »Dann werde ich also nie mehr nach Hausezurückkehren?« »Nein.« »Nein?« »Kommen Sie mit, Paulette.« Camille nahm sie beider Hand und machte noch einmal eine Führung. Langsamer dieses Mal. Sie klopftealles noch mal fest: »Das hier sind die Toiletten. Sehen Sie, Franck ist dabei,Griffe an der Wand zu montieren, damit Sie sich daran festhalten können.«
»Unfug«, brummte er. »Das hier ist die Küche. Ganz schön gross, oder? Und kalt.Deshalb habe ich gestern den Teewagen geflickt. Damit Sie in Ihrem Zimmer essenkönnen...« »... oder im Salon«, stellte Philibert klar, »Sie müssen sich nichtden ganzen Tag einschliessen, wissen Sie?« »Gut, der Flur, der ist sehr lang,aber Sie können sich an der Wandtäfelung festhalten, nicht wahr? Wenn Sie Hilfebrauchen, gehen wir in die Apotheke und leihen uns ein Wägelchen aus.« »Ja, daswäre gut.«
»Kein Problem! Einen Motorradfahrer haben wir ja schon im Haus.« »Hier, dasBadezimmer. Und da müssen wir uns ernsthaft unterhalten, Paulette. Setzen Siesich auf den Stuhl... Schauen Sie sich um. Sehen Sie, wie schön es ist?« »Sehrschön. So was habe ich in meiner Gegend noch nie gesehen.« »Gut. Und wissenSie, was Ihr Enkel und seine Freunde morgen machen?« »Nein.« »Sie werden esverwüsten. Sie werden für Sie eine Duschkabine einbauen, weil die Badewanne zumHineinsteigen zu hoch ist. Bevor es also zu spät ist, müssen Sie sich endgültigentscheiden. Entweder Sie bleiben hier, und die Jungs machen sich an dieArbeit, oder aber Sie haben keine rechte Lust zu bleiben - kein Problem, Sieentscheiden, wie Sie wollen, Paulette -, aber dann müssen Sie es uns jetztsagen, verstehen Sie?« »Verstehen Sie?« wiederholte Philibert. Die alte Dameseufzte, spielte einige Sekunden, die ihnen wie eine Ewigkeit vorkamen, mit demZipfel ihrer Strickjacke, hob dann den Kopf und fragte besorgt: »Habt ihr anden Schemel gedacht?« »Pardon?« »Ich bin nicht behindert, wisst ihr? Ich kannsehr wohl allein duschen, aber ich brauche einen Schemel, sonst...« Philiberttat, als notierte er es auf dem Handteller: »Einen Schemel für die Dame am Endedes Flurs! Ist vermerkt! Was noch, bitte sehr?« Sie lächelte:
»Sonst nichts.« »Sonst nichts?« Dann legte sie los: »Doch. Ich hätte gernmeinen Télé Star, meine Kreuzworträtsel, meine Stricknadeln und Wolle für dieKleine, eine Dose Niveacreme, weil ich meine vergessen habe, Bonbons, einkleines Radio auf dem Nachttisch, Brausetabletten für mein Gebiss,Strumpfhalter, Hausschuhe und einen wärmeren Morgenmantel, weil es hier überallzieht, Vorlagen, Puder, mein Parfümfläschchen, das Franck neulich vergessenhat, ein zweites Kopfkissen, eine Lupe und auch, dass ihr meinen Sessel näherans Fenster stellt, und...« »Und?« fragte Philibert besorgt. »Und das wars.«Franck, der sich mit seinem Werkzeugkasten zu ihnen gesellt hatte, schlugseinem Kollegen auf die Schulter: »Verflucht, Alter, jetzt haben wir zweiPrinzessinnen im Haus.« »Vorsicht!« schimpfte Camille, »du verteilst hierüberall Staub.« »Und hör bitte auf, so zu fluchen!« fügte seine Grossmutterhinzu. Er schlurfte davon: »Oooh Verflixxxxt und zugenääääht. Das wird wasgeben. Das geht nicht gut, Kumpel, das geht nicht gut. Ich mach mich wie-derauf zur Arbeit, dort ist es ruhiger. Wenn jemand einkaufen geht, bringt mir Kartoffelnmit, damit ich euch Gehacktes machen kann. Und die richtigen diesmal, habt ihrgehört! Ihr müsst genau hinschauen. Mehlige Kartoffeln. Das ist doch nichtschwer, das steht drauf auf dem Netz.« »Das geht nicht gut, das geht nichtgut«, hatte er vorausgesagt und lag mit seiner Einschätzung ziemlich daneben.Im Gegenteil, es war ihnen noch nie im Leben so gut gegangen. So ausgedrückt,klang es ein wenig albern, aber nun, es entsprach der Wahrheit, und es warlange her, dass ihnen Lappalien etwas anhaben konnten: Zum ersten Mal und allemiteinander hatten sie das Gefühl, eine echte Familie zu haben. Besser noch alseine echte, eine selbstgewählte, eine gewollte, eine, für die sie sicheingesetzt hatten und die nichts weiter forderte, als dass sie zusammenglücklich waren. Nicht einmal glücklich, so vermessen waren sie gar nicht mehr.Zusammenzusein war alles. Und schon mehr als erwartet. [ ... ] Paulette wurdeimmer als erste wach und wartete darauf, dass ihr einer der Jungen das Frühstückans Bett brachte. Wenn Philibert diese Aufgabe zufiel, geschah es stets aufeinem Tablett mit Zuckerzange, einer bestickten Serviette und einem kleinenMilchkännchen. Er half ihr anschliessend beim Aufstehen, schüttelte ihreKopfkissen aus und zog die Vorhänge auf, wobei er eine kleine Bemerkung überdas Wetter fallenliess. Noch nie war ein Mann ihr gegenüber so zuvorkommendgewesen, und so kam es, wie es kommen musste: Sie begann, auch ihn zuvergöttern. Wenn Franck an der Reihe war, fiel es... eh... rustikaler aus. Erstellte ihr eine Schale Malzkaffee auf den Nachttisch, rutschte ihr schnell mitseinem Stoppelbart über die Wange und fluchte, weil er schon wieder zu spätdran war. »Musst du nicht pinkeln?« »Ich warte auf die Kleine.« »He, Omi, is gutjetzt. Lass sie in Ruhe! Vielleicht schläft sie noch ne Stunde! Du wirst dichdoch nicht so lange zurückhalten.« Unerschütterlich wiederholte sie: »Ich warteauf sie.« Franck zog grummelnd davon. Na gut, dann wart halt auf sie. Wart aufsie. Gemein ist das, alles dreht sich nur noch um dich. Ich wart auch auf sie,verdammte Scheisse! Was muss ich denn anstellen? Muss ich mir beide Beine brechen,damit sie mir auch schöntut? Die geht mir auf den Zeiger, unsere Mary Poppins,geht mir echt auf den Zeiger. In dem Moment kam sie aus ihrem Zimmer undstreckte sich: »Was knurrst du schon wieder?« »Nix. Ich wohn mit Prinz Charlesund Schwester Emmanuelle zusammen und bin tierisch gut drauf. Aus dem Weg, ichbin spät dran. Ach, übrigens?«
»Was?« »Gib mir mal deinen Arm. Sehr gut!« sagte er belustigt, während er siebefühlte. »Alle Achtung, du Mops. Aufgepasst, sonst wirst du bald vernascht...«
»Nicht im Traum, Herr Küchenmeister. Nicht im Traum.« »Aber ja, mein Täubchen,doch, doch.« Ja, die Welt war viel fröhlicher. Mit der Jacke unterm Arm kam erzurück:
»Nächsten Mittwoch...« »Was nächsten Mittwoch?« »Da ist Faschingsmittwoch, amDienstag hab ich nämlich zuviel zu tun, da wartest du mit dem Abendessen aufmich.« »Bis Mitternacht?« »Ich will versuchen, früher zu kommen, und ich werdedir Faschingscrêpes machen, wie du sie noch nie im Leben gegessen hast.« »Ah!Ich hab schon Angst gekriegt! Ich dachte, du hättest dir den Tag ausgesucht, ummich zu vernaschen!« »Ich mach dir Crêpes, und hinterher vernasch ich dich.«»Perfekt.«
[ ... ] Camille ging anschliessend mit ihrem Tee zu ihr. Siesetzte sich aufs Bett, zog an der Daunendecke, und gemeinsam warteten sie, bisdie Jungs gegangen waren, um sich eine Verkaufssendung anzusehen. Sie warenverzückt, glucksten, lachten über die Kleider der Weiber, und Paulette, die denÜbergang zum Euro noch nicht verinnerlicht hatte, wunderte sich darüber, wiegünstig das Leben in Paris war. Die Zeit existierte nicht mehr, dehnte sichträge vom Teekessel zum Monoprix und vom Monoprix zum Zeitungsverkäufer. Siefühlten sich wie im Urlaub. Dem ersten seit Jahren für Camille und dem erstenüberhaupt für die alte Frau. Sie verstanden sich gut, ohne viel Worte, undwurden beide jünger, je länger die Tage wurden. [ ... ] Und jeden Freitag, amfrühen Morgen, wenn die Stadt erwachte, setzte sie Paulette ganz zerknautschtans Busfenster und hielt Paris by day fest, indem sie im Vorbeifahren - in ihrHeft und je nach Stau - ein Pudelpaar mit Burberry-Mantel auf dem Pont Royaleinfing, das Hackfleischmuster der Mauern des Louvre, die Käfige und dieBuchsbäume des Quai de la Mégisserie, den Sockel des Genies der Bastille oderden oberen Teil der Familiengrüfte auf dem Friedhof Père-Lachaise, anschliessendlas sie von schwangeren Prinzessinnen und verlassenen Sängern, während ihre Freundinunter der Trockenhaube strahlte. Sie assen in einer Kneipe an der PlaceGambetta. Nicht im Gambetta, das für ihren Geschmack zu hip war, sondern in derBar du Métro, die nach kaltem Rauch, nach gescheiterten Millionären undgereizter Bedienung roch. Paulette, die sich ihres Katechismus erinnerte, nahmjedesmal eine gebackene Forelle mit Mandeln, und Camille, die keine moralischenBedenken kannte, biss in einen Croque-Monsieur und schloss dabei die Augen. Siebestellten einen Krug Wein, na klar, und stiessen von Herzen damit an. Auf uns!Auf dem Nachhauseweg setzte sie sich ihr gegenüber und malte exakt dieselbenDinge, nur mit dem Blick auf eine kleine schmucke, übermässig herausgeputzteDame, die sich nicht gegen die Scheibe zu lehnen wagte, aus Angst, ihre blasslilaLöckchen plattzudrücken. (Johanna, die Friseuse, hatte sie davon überzeugt,eine andere Farbe zu nehmen: »Dann sind Sie also einverstanden? Ich nehme fürSie eine aschblonde Opaline, ja? Sehen Sie, Nummer 34, hier.« Paulette wollteCamille mit Blicken befragen, aber diese war in eine Geschichte über einemissglückte Fettabsaugung vertieft. »Wirkt das nicht ein wenig traurig?« fragtesie beunruhigt. »Traurig! Überhaupt nicht! Im Gegenteil, richtig fröhlich!«) Inder Tat, das... das war das Wort. Es wirkte sehr fröhlich, und noch am selbenTag stiegen sie an der Ecke zum Quai Voltaire aus, um bei SennelierKünstlerbedarf unter anderem einen kleinen Topf Aquarellfarbe zu kaufen.Paulettes Haare waren von einem stark verdünnten Rosa mit Goldstich zu einemWindsor-Violett übergegangen. Ah! Es war sofort viel schicker. An den übrigenTagen stand der Monoprix auf dem Programm. Sie brauchten über eine Stunde, umzweihundert Meter zurückzulegen, kosteten den neuen Danette, machten beiidiotischen Meinungsumfragen mit, probierten Lippenstifte oder schrecklicheSchals aus Musselin. Sie trödelten, schwatzten, blieben unterwegs stehen,kommentierten das Aussehen der vornehmen Damen des 7. Arrondissements und dieFröhlichkeit der Jugendlichen. Ihre Lachanfälle, ihre hirnrissigen Geschichten,das Bimmeln ihrer Handys und ihre Rucksäcke, in denen viel Kleinkramaneinanderklapperte. Sie amüsierten sich, seufzten, mokierten sich und erholtensich behutsam. Sie hatten die Zeit, das Leben vor sich...
© Weltbild / Carl Hanser Verlag
Übersetzung: Ina Kronenberger
Interview mit Anna Gavalda
In Ihrem Roman "Zusammen ist man weniger allein" haben wires mit einer skurrilen WG zu tun: der magersüchtigen Camille, dem blaublütigen undkauzigen Philibert, dem grosskotzigen Franck und seiner widerspenstigenGrossmutter Paulette. Was verbindet diese Menschen?
Es ist die Einsamkeit. Die drei Jüngerenhaben eine schwierige Kindheit hinter sich, alle hatten ein unglücklichesVerhältnis zu ihren Eltern, allen fehlte Liebe, und so wurden sie nicht daraufvorbereitet, sich in ein normales soziales Leben zu integrieren. Was die Ältereangeht, da ist es die Gesellschaft, die sie nicht mehr will, sie "entsorgt".Letztlich stehen sie alle am Rand, sind diejenigen, die irgendwie nicht an dieWirklichkeit angepasst sind.
Ein Kritiker sprach vom "umgekehrtenDominoeffekt", den die Hauptfiguren miteinander vollführen. Was genau istdarunter zu verstehen?
Das bezieht sich auf dieseDominospiele, bei denen ein Stein neben den anderen gestellt wird: Der Erstebringt den Zweiten zu Fall, der den Dritten umwirft, der den Vierten umwirftund so weiter Hier ist es genau umgekehrt: Der Erste richtet den Zweiten auf,der den Dritten aufrichtet, der den Vierten aufrichtet.
Immer wieder wurden Parallelen zwischenIhrem Roman und dem bekannten Film "Die fabelhafte Welt der Amelie" gezogen.Nervt Sie der Vergleich inzwischen, oder verstehen Sie ihn als Kompliment?
Das nervt mich überhaupt nicht! DerVergleich ist hübsch und ehrt mich sehr - "Amelie" war ein schöner Film -,aber ich bin nicht ganz mit ihm einverstanden. "Amelie" war ein Farbdruck, einePostkarte, eine mit grafischen Mitteln bearbeitete Geschichte und präsentierteein Paris voller Spezialeffekte. Amelie ist ein Kobold, eine Fee MeineGeschichte ist näher an der Realität. Meine Figuren könnten "in echt"existieren, wie Kinder es sagen würden
Überhaupt hat Ihr Roman viel von einemDrehbuch - es dominieren die Dialoge. Wie sieht es mit der Verfilmung IhresBuches aus?
Ich mag Dialoge, aber ich schreibe sienicht im Hinblick auf das Kino. Übrigens wird die Verfilmung gerade produziert,aber ich habe mich geweigert, am Drehbuch mitzuschreiben. Für mich ist es so,dass ich den Film bereits "gesehen" habe, und dass er mir, so wie er ist, sehrgut gefällt. Ich muss ihn nicht auf der Leinwand sehen, ich habe ihn auf meinemKortex [die Hirnrinde, Anm. d. Red.] gesehen - in Technicolor und Dolby Stereo!
Ihre WG hat sich in einerheruntergekommenen Belle Etage nahe des Eiffelturms eingerichtet. Gibt es diese"Biotope" in Paris überhaupt noch?
Ich weiss es nicht, aber ich denke,solche Wohnungen gibt es. Aber gibt es einen anderen Philibert? So grosszügigund liebenswürdig? Ich denke nicht. Leider.
Wenn Ihr Roman so etwas wie einBotschaft hat - wie würden Sie diese formulieren?
Mein Roman hat keine "Botschaft". Esgibt nur Personen und eine lange Geschichte. Ich überlasse die Botschaften denSoziologen.
Die Fragen stellte Henrik Flor, Literaturtest.
- Autor: Anna Gavalda
- 2006, 23. Aufl., 560 Seiten, Masse: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Ina Kronenberger
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596173035
- ISBN-13: 9783596173037
- Erscheinungsdatum: 15.09.2006
BRIGITTE
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